Polen blockierte die Beschlüsse des EU-Gipfels, weil EU-Ratspräsident Donald Tusk wiedergewählt wurde.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Brüssel. Manche erinnert das neue Ratsgebäude in Brüssel an ein leuchtendes Ei - in der Nacht scheint die "Laterne" im inneren der Fassade durch den umgebenden Glaswürfel. Andere finden, der Korpus gleiche dem "Todesstern" aus den Star-Wars-Filmen. Wie die riesige, kugelförmige Raumstation sei auch die Europäische Union viel zu groß und zu teuer - und werde am Ende untergehen, scherzen die Erfinder des Todesstern-Vergleichs.
Unter keinem guten Stern stand das Treffen der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag. Schon im Vorfeld hatte die polnische Regierung unter Premierministerin Beata Szydlo angekündigt, die Wiederwahl ihres Landsmannes Donald Tusk zum EU-Ratspräsidenten mit allen Mitteln verhindern zu wollen. Warschau hatte argumentiert, dass Tusk sich in die polnische Innenpolitik eingemischt habe. Als Polen im Dezember die Berichterstattung aus dem Parlament einschränken wollte, forderte Tusk "Respekt" gegenüber "verfassungsrechtlichen Prinzipien".
Als chancenlosen Gegenkandidaten stellte die nationalkonservative PiS den EVP-Europaabgeordneten Jacek Saryusz-Wolski auf. Doch es half nichts: Tusk wurde am Donnertagabend für weitere zweieinhalb Jahre als EU-Ratschef wiedergewählt - nur Szydlo stimmte gegen den früheren polnischen Premier. Auf die Unterstützung seines Heimatlandes war er nicht angewiesen, es reicht die Zustimmung von 21 Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der europäischen Bevölkerung repräsentieren.
Notfalls, hatte Außenminister Witold Waszczykowski gedroht, werde man den Gipfel blockieren - was Premierministerin Beata Szydlo dann auch tat: Nach anfänglichen Versuchen, die Sitzung in die Länge zu ziehen, damit die Abstimmung nicht stattfinden kann, blockierte sie die Abschlusserklärungen des Rates - sie müssen einstimmig erfolgen. Viel ändert das allerdings nicht, denn es wären ohnehin keine wichtigen Entscheidungen gewesen. "Der polnische Vorgang wird die Europäer und den Gang der europäischen Geschichte nicht maßgeblich beeinflussen", meinte auch Bundeskanzler Christian Kern bei einer Pressekonferenz nach dem Ende der Gespräche.
Warschaus Drohgebärden hatten die restlichen EU-Staaten wenig beeindruckt. Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte an, sich auf die weitere Zusammenarbeit mit Tusk zu freuen. Und Bundeskanzler Christian Kern kritisierte die polnische Haltung scharf. "Die Motive, die seitens der Polen ins Treffen geführt werden, sind nicht akzeptabel", hatte er bei seiner Ankunft in Brüssel gesagt. Eine Personaldebatte würde "Europa in eine sinnlose Krise stürzen", Tusk habe zudem einen guten Job gemacht.
Westbalkan beunruhigt EU
Mit ihrem ungeschickten Widerstand gegen Tusk zog Polen die Kritik der anderen Mitgliedstaaten auf sich. Die Regierungschefs wollten die Formalie der Wiederwahl schnell hinter sich bringen, um sich wichtigeren Punkten zu widmen, darunter die Lage am Westbalkan: Das Chaos in Mazedonien gefährdet die Stabilität der gesamten Region. Das Land ist ohne Regierung, das neu gewählte Parlament kann nicht arbeiten. Dass es schnell zu einer Lösung kommen wird, ist unwahrscheinlich, denn das bisherige mazedonische Staatsoberhaupt Djordje Ivanov von der skandalumwitterten VMRO weigert sich beharrlich, den bei den Wahlen im Dezember siegreichen Sozialdemokraten der SDSM den Regierungsauftrag zu erteilen. Da half es auch nichts, dass die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini jüngst nach ihrem Besuch in Skopje vor einem Spiel mit Feuer warnte. Auf dem Gipfel sollte den Balkanländern nun vermittelt werden, dass sie ihre Reformen fortsetzen sollen - und eine europäische Perspektive haben.
Idee vom "Kerneuropa"
Am heutigen Freitag soll in Brüssel über die Idee vom Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten beraten werden. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte das Konzept vergangene Woche als eine von fünf Zukunftsperspektiven vorgeschlagen. Am Donnerstag sprach sich auch Merkel dafür aus, dass einige EU-Staaten enger zusammenarbeiten und andere hinter sich zurücklassen können. Die Herausforderungen der EU seien zu groß, als dass man Politik auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner betreiben könnte, so Deutschlands Bundeskanzlerin in einer Regierungserklärung vor dem EU-Gipfel. Auch die anderen drei großen Euro-Staaten Italien, Spanien und Frankreich, haben sich bereits zu der Idee bekannt.
Auch vor diesem Hintergrund ist das Verhalten Warschaus kein kluger Schachzug. Polen kann es sich nicht leisten, bei seinen Partnern in der EU weiter an Ansehen zu verlieren. Zuletzt eskaliert ist der Streit zwischen Warschau und Brüssel, als die Regierung versuchte, das Verfassungsgericht nach seinen Wünschen umzubauen - und de facto zu entmachten. Brüssel protestierte, Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn meinte sogar, dass das heutige Polen so gar nicht mehr in die EU käme. Doch viel kann die EU nicht gegen den Machtrausch der PiS unternehmen.
Kern droht Osteuropa
Verfechter eines Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten, darunter Bundeskanzler Christian Kern, bemängeln, dass die Entscheidungsprozesse der EU schwerfällig sind und lange dauern. Kern hat schon angedroht, dass die mittel- und osteuropäischen Länder nicht mehr mit Milliardenzahlungen aus Brüssel rechnen sollten, wenn sie sich weiterhin weigern, Flüchtlinge aufzunehmen oder Steuerdumping auf Kosten der Nachbarn betreiben. Nur: So einfach ist es nicht, denn auch für eine Kürzung der Strukturhilfen bräuchte es den Konsens aller EU-Mitgliedstaaten - und die betroffenen Länder werden kaum für die Kürzung ihrer Finanzspritzen stimmen. Mit rund 9,5 Milliarden Euro war Polen 2015 der größte Nettoempfänger. Flüchtlinge aus dem EU-Umverteilungsprogramm - ursprünglich hätten es 7000 sein sollen - hat es bis heute keinen einzigen aufgenommen.