Mit seinem höchst umstrittenen Vorschlag einer einseitigen Grenzziehung durch Israel hat sich Ministerpräsident Ariel Sharon zwischen alle Stühle gesetzt. In nie da gewesener Einigkeit wiesen die palästinensische Führung und die jüdischen Siedler in den besetzten Gebieten den "Abtrennungsplan" des Regierungschefs zurück. Begrüßt wurde der Vorstoß dagegen vom militanten "Islamischen Heiligen Krieg", der den von Sharon angekündigten Abbau von einigen Siedlungen auf die Terroranschläge der vergangenen Jahre zurückführt.
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Die entscheidende Frage ist, wie viel nach einer unilateralen israelischen Grenzfestlegung noch übrig bliebe für einen unabhängigen palästinensischen Staat, dessen Errichtung nach dem internationalen Friedens-Fahrplan ("Roadmap") bis 2005 vorgesehen ist. Schon jetzt hat sich Israel mit dem Bau seiner Sperranlage Teile des Westjordanlandes de facto einverleibt.
Ariel Sharon drohte in seiner sicherheitspolitischen Grundsatzrede, wenn der Friedensprozess keine Fortschritte mache, würden die Palästinenser das Nachsehen haben: Bei Umsetzung des Abtrennungsplanes würden "die Palästinenser sehr viel weniger bekommen, als sie durch Verhandlungen gemäß der 'Roadmap' hätten erhalten können."
Auch die USA haben Israel in deutlichen Worten vor einer einseitigen Grenzziehung gewarnt und eine Rückkehr an den Verhandlungstisch verlangt. Grundsätzlich hatte sich Sharon in seiner Rede dazu bereit erklärt. Er wolle aber "nicht ewig" auf eine Lösung warten, sagte er. Auch in seinem eigenen politischen Lager stießen seine Worte auf Widerstand. Die Siedler und die ultrarechten Koalitionspartner äußerten sich empört über die Ankündigung, "einige" der völkerrechtswidrig errichteten Niederlassungen in den besetzten Gebieten müssten aufgegeben werden. Aus Sicht der Betroffenen ist es vor allem ein Skandal: "Der Abbau von Siedlungen und die Vertreibung von Juden aus ihren Häusern wird den Appetit der Mörder nur steigern und zur Vernichtung des Zionismus führen", warnte der Siedlerrat.
Möglicherweise ist es das so genannte demografische Problem, das den Premier zum Umdenken bewegt hat. Schon heute gibt es in Israel und den seit 1967 okkupierten Gebieten fast genauso viele Araber wie Juden: In Israel leben 1,3 Millionen arabische Bürger, hinzu kommen 3,5 Millionen Palästinenser im Westjordanland und Gaza-Streifen. Die Zahl der jüdischen Israelis beträgt 5,2 Millionen. Ihr Vorsprung dürfte angesichts der höheren arabischen Geburtenrate rasch dahin schmelzen. Aus dieser Perspektive wäre eine Zwei-Staaten-Lösung für die Juden in Israel lebenswichtig.
In der von Terror und Gewalt geplagten Bevölkerung stößt ein Rückzug aus den besetzten Gebieten auf Zustimmung. Nach der neuesten Umfrage befürworten 51 Prozent der Israelis die Aufgabe von Siedlungen im Westjordanland, nur 27 Prozent sprechen sich klar dagegen aus. Eine Auflösung der Siedlungen im Gaza-Streifen findet bei 61 Prozent Zustimmung.