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Arme von Kirchenbeitrag befreien?

Von Rudolf K. Höfer

Gastkommentare
Rudolf K. Höfer war ao. Professor für Kirchengeschichte an der Universität Graz.
© privat

Eine Steuerwidmung könnte die Austritte massiv senken.


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In Österreich sind im Jahr 2022 genau 90.808 Personen aus der katholischen Kirche ausgetreten - der höchste Wert seit 1945 und höher als 2010 nach Missbrauchsmeldungen. Negative Nachrichten gab es in Österreich im vergangenen Jahr kaum. Wenn das kein Alarmsignal ist? Ausgetretene sind ja nicht vom Glauben abgefallen, ihre Taufe bleibt, die von den Bischöfen vorgelegten Strafen wie Ausschluss von Sakramenten, Patenamt und anderem entfremden die Menschen weiter, egal, ob sie religiös leben oder sich in einer Pfarre engagieren. Diözesane Reformen begeistern kaum irgendwo, Corona als Grund für Austritte dürften wohl finanzielle Probleme überlagern.

Wenn Einkommen von 11.000 Euro steuerfrei sind, dann stellen sich Betroffene die Frage: Muss ich mit meinem unter der Armutsgrenze liegenden Einkommen in Österreich auch noch Kirchenbeitrag zahlen? Die Antwort lautet kurz: Leider Ja. Der Kirchenbeitrag kann mindestens 32 Euro, aber durchaus 100 Euro und mehr betragen. Dazu kommt, dass etwa 300.000 Selbständigen beziehungsweise Ein-Personen-Unternehmen ein mehr als vierfacher Mindestkirchenbeitrag - nämlich 131 Euro - abverlangt wird. Etwa 2,7 Millionen Menschen zahlen in Österreich keine Steuern, sie verdienen weniger als 11.000 Euro im Jahr. In Deutschland wären sie von der Kirchensteuer befreit. Durch Teuerung, Inflation und Energiekosten sind Personen mit solchen Einkommen besonders betroffen und kämpfen mit finanziellen Schwierigkeiten im Alltag. Ihre Armut durch den Kirchenbeitrag zu steigern, könnte längst ein Veto der Regierung zu den vorgelegten Kirchenbeitragsordnungen beenden. Das Kirchenbeitragsaufkommen ist übrigens von 2020 auf 2021 von 484 auf 499 Millionen Euro über der Inflationsrate gestiegen, was in den fünf Jahren davor schon der Fall war. Das war vielleicht der Hauptgrund, warum sich Kardinal Christoph Schönborn, in der ORF-"Pressestunde" im März 2020 zum Kirchenbeitrag befragt, mit "Gott sei Dank, haben wir ein anderes System als Deutschland" gewollt oder nicht beim seinerzeitigen NS-Gesetzgeber bedankte.

Das Kirchenbeitragsgesetz aus der NS-Zeit, das in allen vom Regime annektierten Ländern bis 1945 galt, besteht heute nur noch in Österreich. Adolf Hitler hatte für getaufte Christen eine Steuer eingeführt, um einen "vernichtenden Schlag gegen die Kirchenorganisation" zu führen, so lautete damals die Absicht. Wenn NS-Wiederbetätigung in Österreich heute gesetzlich verboten ist, sollte auch das NS-Kirchenbeitragsgesetz einer Prüfung unterzogen werden. Wegzuschauen oder ein Auge zuzudrücken, untergräbt die Glaubwürdigkeit solcher Gesetze.

Die auf dem NS-Gesetz aufbauenden Kirchenbeitragsordnungen sind doppelgleisig angelegt: Erstens wird nach dem Vereinsdenken von Getauften ein Mindestkirchenbeitrag abgefordert, zweitens wird eine Besteuerung durch Schätzung des Einkommens durchgeführt. Zur Vorlage von Einkommensnachweisen gibt es keine staatliche Verpflichtung. In nicht wenigen Fällen wird auch geklagt oder gepfändet. Wie das Inkasso von Armen mit dem sozialen Gewissen der Bischöfe in Einklang zu bringen ist, dazu schweigen bekannte Hilfsorganisationen. Solidarität von Armen zu verlangen, ist wohl frivol.

Als Alternative zum Kirchenbeitrag würde die demokratische Steuerwidmung wie in Italien, Spanien, Slowenien und Ungarn für anerkannte Kirchen die Austritte rapide senken, weil das von den Bischöfen 1998 erkannte Motiv für zwei Drittel der Austritte - nämlich der Kirchenbeitrag - wegfiele. Die Kosten für eine Steuerwidmung wären mit etwa einem halben Prozent der bisherigen Ausgaben für Corona-, Teue-
rung- und Energiehilfen marginal. Dafür würden die Strukturreform 2,7 Millionen Arme sehr spüren. Da etwa in Italien ein kleiner Teil des Steueraufkommens demokratisch zur Wahl für den Staat oder eine Kirche steht, wurde das als Trennung von Kirchen und Staat begründet. Die Steuern kommen ohnehin von den Bürgern, sie erhalten eine demokratische Mitwirkung über den Teil ihrer Leistung.