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Armee der türmenden Soldaten

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik
Die irakische Armee kann keine Erfolge verbuchen.reuters/Ahmed Saad

Wie in Syrien rückt der IS auch im Irak vor. Die vom Westen ausgebildete Armee versagt dort im Ernstfall erneut.


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Bagdad. "Ich lass mich doch von denen nicht verheizen", empört sich Qais vor einem Rekrutierungsbüro im Bagdader Stadtteil Karada, in dem Freiwillige für den Kampf in der Nachbarprovinz Anbar angeworben werden. Der junge Mann kommt aus Basra, der Schiitenmetropole und zweitgrößten Stadt im Süden Iraks. Er sei dem Aufruf des schiitischen Großajatollahs Ali al-Sistani vergangenes Jahr im Juni gefolgt, als dieser zur Verteidigung des Vaterlandes und der schiitischen Heiligtümer aufrief. Daesh, wie die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hier genannt wird, hatte gerade in einer Blitzaktion Mossul, Tikrit und weite Teile des Nordiraks unter ihre Kontrolle gebracht und befand sich auf dem Vormarsch nach Bagdad. Auf dem Weg in die irakische Hauptstadt liegt Samarra, ein Heiligtum der Schiiten, das es zu verteidigen galt.

Qais wollte nicht zulassen, dass es noch einmal zum Bürgerkrieg kommt, so wie 2006, als die Moschee in Samaraa von Al-Kaida-Terroristen zerbombt wurde und das blutige Gemetzel zwischen Schiiten und Sunniten begann. Er hielt auch noch durch, als die Schiitenmilizen Ende Februar zur Rückeroberung von Tikrit, der Hauptstadt der Provinz Salahuddin, von Samarra aus in den Norden zogen. "Aber jetzt Anbar? Die sind doch verrückt", kommentiert der 24-Jährige kurz und knapp die Entscheidung des irakischen Premiers, schiitische Freiwillige in die Schlacht um Ramadi zu schicken. "Anbar ist die Hölle." Wie Qais argumentieren derzeit viele junge Schiiten.

Sunnitische Stämme könnten bewaffnet werden

Während die erste Mobilisierungswelle von Freiwilligen im letzten Sommer tausende nach Bagdad in die Rekrutierungszentren strömen ließ, sieht es jetzt eher mager aus. Der Aufruf von Regierungschef Haider al-Abadi "zusammenzustehen und sich zur Unterstützung für die Armee in Anbar zu melden", findet nicht die Resonanz, die Großajatollah Sistani einst fand, als er Freiwillige für die Front suchte.

Die Regierung in Bagdad kann vielleicht nicht genug Kämpfer für die Rückeroberung Ramadis einsetzen. Jetzt erwägt Abadi sogar, sunnitische Stämme zu bewaffnen, nachdem seine schiitisch geprägte Regierung dies bisher stets abgelehnt hat. Sie befürchtete, dass die Waffen nach erfolgtem Sieg über Daesh gegen die Regierung in Bagdad gerichtet werden könnten.

Die Pläne des US-Kongresses im April, sunnitische und kurdische Einheiten in Zukunft direkt zu unterstützen, lösten in Bagdad daher heftige Reaktionen aus. Abadi lehnte jegliche Militärhilfe, die nicht über Bagdad geht, ab. Der Kongress in Washington konterkariere seine Politik der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols, ließ er damals seinen Sprecher verkünden.

Doch die desolate Situation der Streitkräfte könnte jetzt selbst diese Maßnahme notwendig machen. Fast tausend Sicherheitskräfte sind am Wochenende desertiert, als der IS aufmarschierte, darunter viele Polizisten. Die Angst-und-Schrecken-Taktik der Dschihadisten funktioniert nach wie vor. Ein Gerücht, dass 10.000 finstere Gotteskrieger, die aus Syrien, wo der IS ebenfalls weite Gebiete erobert hat, auf Ramadi zusteuern, ließ die Soldaten Reißaus nehmen. Dass es letztendlich nur etwa 3000 IS-Kämpfer waren, die die 280.000-Einwohner-Stadt eroberten, ist nun eine Blamage, von der sich die Truppe wohl nicht so schnell erholen wird.

Derweil richtet sich Daesh in Ramadi ein. Zunächst wurden die schwarzen Fahnen überall auf öffentlichen Gebäuden gehisst, Hausdurchsuchungen angeordnet, Bestandsaufnahmen gemacht. Stellungen rund um die Stadtgrenzen wurden gesichert, Kontrollpunkte errichtet.

Augenzeugen berichten, dass das Treiben der Dschihadisten Routinecharakter aufweise und sehr systematisch vonstatten gehe. Der IS bereitet sich offenbar auf eine längere Verweildauer vor, zumal weitere Orte rund um Ramadi in den letzten Tagen ebenfalls erobert werden konnten und damit einen strategischen Rückhalt für die IS-Kämpfer darstellen. Zusammen mit Falludscha, das bereits seit Anfang 2014 fest in der Hand der Terrormiliz ist, verfügt IS nun über beide Großstädte in Iraks flächenmäßig größter Provinz vor den Toren Bagdads. Mit der Eroberung Ramadis verzeichnet der IS den größten Landgewinn seit August letzten Jahres, als die Terrorarmee die Kurdengebiete im Nordirak angriff. Auch damals hatten die Soldaten das Terrain nahezu kampflos dem IS überlassen, wie schon zuvor im Juni, als Daesh Mossul und Tikrit unter seine Kontrolle brachte. Immer wieder tauchte die Frage auf, wofür die US-Regierung Millionen von Dollar ausgab, um eine neue irakische Armee aufzubauen, wenn diese im Ernstfall versagt.

Gravierender Fehlerder USA wirkt nach

Nach dem Einmarsch der Amerikaner und Briten im Irak und dem Sturz Saddam Husseins 2003 hatte US-Administrator Paul Bremer über Nacht die gesamte irakische Armee aufgelöst, was heute weithin als gravierender Fehler angesehen wird. Ehemalige Offiziere der Saddam-Armee organisierten in der Folge den irakischen Widerstand gegen die US-Besatzung. Falludscha und Ramadi spielten dabei eine wichtige Rolle.

Beim Abzug der US-Truppen 2011 stellte ein interner Pentagon-Bericht der neu aufgebauten irakischen Armee ein schlechtes Zeugnis aus. Von mangelnder Motivation und unzureichendem Training der Soldaten war die Rede. Die Ausbildner seien oft nicht vor Ort gewesen, hätten die Rekruten außer Landes geschult, was uneffizient gewesen sei. Auch die militärische Ausrüstung wurde bemängelt. So sei die Luftwaffe zur Landesverteidigung nicht in der Lage und verfüge über zu wenig Flugzeuge und Kapazitäten. Dies zeigt sich im Kampf gegen die mit modernsten Waffen ausgerüsteten und motivierten IS-Kämpfer nur allzu deutlich.

Seitdem sind unzählige Militärberater und Ausbildner aus aller Welt an Euphrat und Tigris geschickt worden: 5000 aus den USA, hunderte aus Australien, Kanada und Frankreich. Nach dem Debakel in Ramadi stellt sich nun erneut die Frage nach der Effizienz der Experten. Qais jedenfalls, der schiitische Freiwillige der ersten Stunde, hat noch keinen von ihnen gesehen. "Aber nach Anbar, in diese Hölle, gehen die ohnehin nicht", meint er.