Seit Dienstag dürfen in Ungarn Soldaten Personen an der Grenze zu Serbien, Kroatien und Rumänien festnehmen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Budapest. Viktor Orbán kann sich den ersten innenpolitischen Erfolg im Gefolge der Flüchtlingskrise als Orden an die Brust heften: Der Vorsprung seiner Partei Fidesz gegenüber ihrem gefährlichsten Rivalen, der rechtsradikalen Partei Jobbik, ist in den letzten drei Monaten um fünf Prozentpunkte größer geworden, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos ergab. Demnach kommt Fidesz derzeit auf 41 Prozent der Stimmen, Jobbik erreicht 26 Prozent und die Sozialisten würden 17 Prozent der Ungarn wählen. Frühere Umfragen hatten signalisiert, dass die Ungarn mehrheitlich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen sind - und zwar auch die Anhänger der links-liberalen Oppositionsparteien. Vor kurzem soll Orbán bei einer Fraktionssitzung seiner Partei Fidesz einräumt haben, dass er absichtlich vor drei Wochen die dramatische Flüchtlingssituation am Budapester Ostbahnhof habe eskalieren lassen, um sich danach durch den Zaunbau an der serbischen Grenze als Retter vor der "Völkerwanderung" darstellen zu können - berichtete das Portal vs.hu unter Berufung auf ungenannte Fidesz-Vertreter.
Nur tödliche Schusswaffensind verboten
Nun startet die nächste Phase gegen die Flüchtlinge - selbst wenn diese mittlerweile wegen des Zauns auf ihrem Weg gen Westen nach Kroatien ausweichen. Seit Dienstag darf die Armee die Grenzpolizei unterstützen. Das heißt: Sie darf Personen festnehmen, Autos durchsuchen und dabei Handschellen, Tränengas, Gummigeschosse und Fangnetze einsetzen. Nur der Gebrauch von tödlichen Schusswaffen ist verboten. Das regelt ein am Montag beschlossenes Gesetz. Der Militäreinsatz an der Grenze soll nur im "Krisenfall" erlaubt sein, den die Regierung ausruft. Derzeit gilt diese Regelung - eine Art Ausnahmezustand - in sechs Komitaten entlang der serbischen, kroatischen und rumänischen Grenze.
Zugleich hat Orbáns Regierung dafür gesorgt, dass das Flüchtlingsproblem im eigenen Land kaum noch sichtbar ist: Die tausenden Flüchtlinge, die derzeit über Kroatien einreisen, werden an die österreichische Grenze gebracht. Zwischen Zagreb und Budapest kam es daraufhin zu einem wütenden verbalen Schlagabtausch. Ungarns Außenminister Peter Szijjártó drohte, den angestrebten Schengen-Beitritt Kroatiens zu verhindern, weil das Land unfähig sei, die Flüchtlingskrise zu managen - die Ungarn durch die Sperre an der serbischen Grenze mit verursacht hatte.
Jetzt soll es noch mehr Grenzzäune geben: 40 Kilometer sollen an der kroatischen Grenze abgeriegelt werden. Ein weiterer, 70 Kilometer langer Zaun soll an der rumänischen Grenze gebaut werden, obwohl es keinerlei Anzeichen gibt, dass Flüchtlinge den weiten Umweg über das Karpatenland wählen. Die Zäune sind Orbán so wichtig, dass sie ein politisches Opfer forderten: Verteidigungsminister Csaba Hende trat zurück, weil Orbán mit dem Tempo der Bauarbeiten an der serbischen Grenze unzufrieden war. Hendes Nachfolger István Simicskó, bisher Sport-Staatssekretär, gilt als schlichter Befehlsempfänger Orbáns.
Konkurrenz unterViktor Orbáns Getreuen
Hende galt als äußerst loyal gegenüber Orbán, aber zugleich als überzeugter Transatlantiker. In Budapest kursieren sogar Gerüchte, denen zufolge Hende auf Druck seiner Generäle gegen einen Militäreinsatz an der Grenze gewesen sein soll. Orbán jedenfalls nutzte die Causa Hende als Gelegenheit, um klarzustellen, dass er Gehorsam erwartet: "Der Minister (Hende, Anm.) trägt keine Verantwortung, denn er hätte den Zaun termingerecht fertiggestellt, aber ich hätte lieber einen sehr viel schnelleren Baufortschritt gesehen", sagte er im Sender TV2.
Dabei scheut Orbán laut Analyse der links-liberalen Zeitung "Népszabadság" generell Änderungen im Kabinett, weil er derartiges als Eingeständnis von Schwäche werte. Eher scheint er bestrebt zu sein, in seinem engen Machtzirkel Konkurrenzsituationen zu schaffen, damit sich seine Getreuen gegenseitig in Schach halten. Dies wäre vor kurzem beinahe schiefgegangen, als Orban den Fraktionschef seiner Partei Fidesz, Antal Rogan, zu seinem Kabinettschef ernannte. Das ärgerte Orbáns Kanzleiminister János Lázár, der als Kronprinz galt. Lázár drohte mit Rücktritt, weil er zu Recht eine Kompetenzüberschneidung mit Rogan befürchtete. Die beiden rauften sich wieder zusammen - vermutlich nach einem Machtwort Orbáns.