Die türkischen Generäle sind es gewohnt, in Ankara die Rolle einer übergeordneten Instanz zu spielen. Doch jetzt sind sie in der Defensive. Anlass dafür ist die Forderung der Europäischen Union, den Einfluss der Militärs auf die Politik in der Türkei zurückzudrängen, wenn das Land EU-Mitglied werden wolle.
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Der Wunsch der EU bringt die türkische Armee in Verlegenheit. Einerseits bekennen sich die türkischen Generäle, die ihren Machtanspruch von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk ableiten, immer wieder zum Ziel Europa - schließlich hatte Atatürk selbst dieses Ziel formuliert. Andererseits wollen die Militärs aber auch um der EU willen nicht auf ihren politischen Einfluss verzichten.
Bis Ende Jänner muss in Ankara ein Weg gefunden werden, diesen Widerspruch aufzulösen, denn bis dahin soll die Türkei der EU in einem Nationalen Programm darlegen, wie sie die für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen nötigen Reformen umsetzen will. Unter diesem Druck zeigt die Armee plötzlich Nerven. Während der Generalstab erklärt, die Streitkräfte sperrten sich nicht gegen einen EU-Beitritt der Türkei, ziehen hochrangige Offiziere gegen die Europäer vom Leder. Die Forderungen der Kurdenrebellen von der PKK und die der EU an die Türkei seien deckungsgleich, wetterte kürzlich der Chef der türkischen Militärakademien, Generalleutnant Nahit Senogul. Andere Generäle kritisieren, die Forderungen der EU nach mehr Rechten für die Kurden zielten darauf ab, die Türkei zu spalten. "Was meint die Armee nun eigentlich zur EU?" fragte die Zeitung "Radikal" am Montag.
Neben dem politischen Einfluss der Armee sind Verstöße gegen die Menschenrechte Hauptkritikpunktder EU: Im Südosten der Türkei sind gestern 28 Kinder, die Slogans für die verbotene PKK gerufen haben sollen, in ein Hochsicherheitsgefängnis gebracht worden.