Wenn Thailands Militär zerfällt, dann droht ein Bürgerkriegsszenario.
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Die Krise in Thailand spitzt sich weiter zu. Die Protestbewegung, die Premierministerin Yingluck Shinawatra stürzen will, möchte nun die für 2. Februar anberaumten Wahlen verhindern und belagert Ministerien und Wahllokale. Die von Ex-Vizepremier Suthep Thaugsuban angeführte Oppositionsbewegung wirft Yingluck Shinawatra vor, eine Marionette ihres Bruders Thaksin Shinawatra zu sein. Der milliardenschwere Ex-Premier ist wegen Korruption verurteilt und lebt im Exil. Er regierte Thailand von 2001 bis 2006, stützte seine Macht - ebenso wie seine Schwester - auf die arme Landbevölkerung im Nordosten des Landes, drängte die Bangkoker Eliten an den Rand und polarisiert bis heute Thailand. Die "Wiener Zeitung" sprach mit dem Asien-Kenner Gerhard Will über den gegenwärtigen Konflikt und Thaksins Erbe.
"Wiener Zeitung": Die Regierung droht der Protestbewegung, dass sie die Belagerung der Ministerien bald nicht mehr dulden wird. Aber kann sie sich dabei überhaupt darauf verlassen, dass die Sicherheitskräfte mitziehen?
Gerhard Will: Die Regierung kann wohl auf die Loyalität der Polizei zählen. Denn Thaksin war ja selbst Polizeigeneral und die Regierung hat dort viele Verbündete - wahrscheinlich mehr als im Militär.
Dieses hat ja schon oft geputscht, derzeit gibt es sich neutral. Ist das die Armee tatsächlich?
Die Militärführung sehnt sich nicht nach einem Putsch, weil sie weiß, dass sie nachher eine schwierige Aufgabe, nämlich die Regierungsverantwortung, erwartet. Das Militär ist aber nicht mehr so monolithisch, wie es sich nach außen hin gibt. Inzwischen sind auch viele Regierungsanhänger in führenden Positionen. Das Schlimmste, was nun passieren kann, wäre, dass das Militär zerfällt. Damit hätten plötzlich beide Gruppierungen bewaffnete Kräfte unter ihrem Kommando. Das wäre ein Bürgerkriegsszenario. Gegenwärtig sehe ich das zwar noch nicht, aber es ist auch nicht vollkommen auszuschließen.
Wie sehr spielt die Protestbewegung da mit dem Feuer? Was würde im Fall eines Regierungssturzes geschehen?
Dann würden die Regierungsanhänger aufmarschieren. Und wenn sie sich mit Fraktionen innerhalb des Militärs verbünden könnten, kann es ganz gefährlich werden. Die Protestbewegung spielt nicht nur mit dem Feuer, sie hat es schon angezündet. Sie hat den Konflikt schon so weit vorwärts getrieben, dass kaum noch eine gesichtswahrende Lösung gefunden werden kann. Ihre Anführer können nun nur noch siegen oder untergehen, weil sie sonst politisch verbrannt sind.
Haben die Protestführer überhaupt die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich?
Nein, sonst würde sie sich ja auch nicht so stark dagegen wehren, dass nun Wahlen stattfinden.
Die Regierungsgegner sperren sich ja gegen die Massendemokratie mit dem Argument, dass die derzeitige Regierung - wie schon früher Thaksin - die Stimmung der Landbevölkerung kauft und so gewinnt. Ein zulässiges Argument?
Stimmenkauf hat es immer schon gegeben, von verschiedenen Parteien. Das Neue an Thaksin war aber, dass er auch große Wohlfahrtsprogramme für die ländliche Bevölkerung, etwa in der Gesundheitsvorsorge, eingeführt hat. Damit wurde bei dieser ein politisches Bewusstsein geschaffen, das wohl weit über die Intention Thaksins hinausging.
Inwiefern?
Die Menschen am Land haben gemerkt, dass sie etwas verändern können. Vielen Rothemden (große außerparlamentarische Bewegung, die im Nordosten verwurzelt ist, Anm.) geht es nun gar nicht mehr um Thaksin. Sie wollen als gleichberechtigte Bürger anerkannt und nicht mehr von den Eliten in Bangkok vernachlässigt und unterdrückt werden. Dieses Interesse sehen sie nun bei der Regierung am Besten vertreten. Und innerhalb der Regierungskoalition gibt es einen von den Rothemden beeinflussten Flügel, der jegliche Zugeständnisse an die Protestbewegung ablehnt.
Die Protestierenden zeichnen hingegen ein Bild, als sei Thaksin noch immer der heimliche Regent.
Die Opposition baut das Feindbild Thaksin auf, weil sie damit ihr eigenes Lager zusammenhalten kann. Dieses besteht aus den Bangkoker Mittelschichten, den alten Eliten und der Bevölkerung im Süden. Diese Gruppen haben verschiedene Interessen und werden nur durch den gemeinsamen Gegner vereint.
Ist die Protestbewegung, die ja die Korruption des Thaksin-Clans bekämpfen will, so sauber, wie sie sich nach außen hin gibt?
Nein. Ihr Anführer Suthep ist selbst schon wegen großer Korruptionsfälle belangt worden. Auch ihre politischen Vorschläge wie die Einsetzung eines nicht gewählten Volksrates sind nebulös und gegen die Verfassung.
Bei allem gegenwärtigen Hickhack - wo liegen die Wurzeln des Konflikts?
Thailand ist eine pluralistische Gesellschaft mit verschiedenen Interessengruppen. Aber es gibt keine Institutionen, die vermittelnd eingreifen könnten. Es besteht zwar eine Sehnsucht nach ihnen - in der Verfassung wurden etwa unabhängige Korruptionsbehörden oder ein unabhängiges Verfassungsgericht festgeschrieben. Aber jede Regierung hat immer versucht, diese Institutionen sofort für sich zu vereinnahmen. Zudem fehlt im ökonomischen Bereich eine Strategie, wie man die ländlichen Massen im Nordosten des Landes in die wirtschaftliche Entwicklung einbeziehen kann. Der Großraum Bangkok hat eine florierende Industrie, doch die ländlichen Gebiete hinken nach. Dieser ökonomische Widerspruch trifft auf ein politisches System, das keinen Ausgleich schaffen kann, und so prallen die verschiedenen Gruppen immer stärker aufeinander.
Könnte nicht das Königshaus diese Rolle übernehmen?
Auf das Königshaus wurden immer schon viele Hoffnungen als überparteiliche Instanz gesetzt - das war aber auch in der Vergangenheit oft mehr Fiktion als Realität. Und im gegenwärtigen Konflikt scheinen selbst die Kräfte im Königshaus gespalten.
Gerhard Will: Der Südostasien-Experte der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik hat zahlreiche Publikationen zu Thailand veröffentlicht.