Die Republik Kongo liebt Geldgeschenke, Geländewagen und Gorillas. In dieser Reihenfolge. Der Bürgerkrieg in dem seit 1960 unabhängigen Land ist zwar vorbei, doch nicht alle Folgen des Machtkampfs sind beseitigt.
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Der Busch ist noch dunkel und Sid wieder einmal nicht sonderlich gut gelaunt. Regen hängt in der Luft, und die schwarzen Spinnen auf den Mückengittern haben ihre Netze fast fertig. Er scheint schon länger zu warten, denn ohne Moses kann es kein guter Tag werden. Doch der sucht gerade seinen Außenbordmotor, den er an einer unsichtbaren Sandbank mitten im trüben Fluss verloren hat. Kein Wunder, es hat schon länger nicht mehr geregnet und nur wenig Wasser fließt zu den Flusspferden stromabwärts, was diese ein wenig unwirsch und laut macht.
Moses ist 27 und 1,65 Meter groß, Sid 23 und 1,82 m: Beide sind tief im Kongobecken aufgewachsen, aufeinander angewiesen - und deshalb keine besonders dicken Freunde. Nur gut, dass der Fluss zwischen den beiden liegt und Sid bereits alle Orangen verschossen hat, die ihm Moses gestern auf die kleine Insel mitten im Fluss gebracht hat.
Schutz vor Wilderern
Sid ist ein Gorilla. Ein einsamer, denn er hat alle anderen Gorillas auf der sogenannten Junggeselleninsel im Lauf der Jahre getötet oder vertrieben. Er verscheucht die morgendlichen Stechmücken, schmatzt an einer Melonenscheibe und kratzt sich verlegen am Ohr. Das tut Moses auch, der rosa Badeschlapfen und eine khakifarbene Rangeruniform mit Bügelfalten trägt und seinem haarigen Freund täglich pünktlich um 9 Uhr frisches Obst und Gemüse bringt. Manche seiner Nachbarn im Dorf daneben würden sich über so viel Zuwendung freuen.
Moses lebt mit anderen Wildhütern in einer kleinen Lichtung an den östlichen Ausläufern des Bateke-Plateaus, rund 130 km nördlich der Hauptstadt Brazzaville. Sie sollen die tropische Tierwelt vor hungrigen Dorfbewohnern und organisierten Wilderern schützen. Die Hauptstraße in die Zentralafrikanische Republik ist großteils irgendwie asphaltiert und streift das Schutzgebiet lediglich 20 km ostwärts, doch ohne Geländewagen ist ab da kein Fortkommen auf den schlammigen Spurrillen durch meterhohes Elefantengras möglich. Und diese Wagen sind kaum aufzutreiben, gibt es doch in Brazzaville nur einen einzigen Autoverleih, wo ein paar Toyota Landcruiser zu Tagestarifen von 410 Euro gehandelt werden und dennoch über Wochen ausgebucht sind: UNO, Weltbank und die paar NGOs im Land finanzieren potenziellen Geldgebern und Inspektoren gerne einen kleinen Ausflug ins Hinterland.
Andere Ausländer sind selten. In der einstigen französischen Kolonie Republik Kongo gibt es nicht allzu viel, was Touristen in großen Scharen anlocken könnte: Weiterkommen ist überall schwierig, und die paar Tourveranstalter in der Hauptstadt haben merkwürdige Vorstellungen von Angebot und Nachfrage - eine zweistündige Stadtrundfahrt kostet 300 Euro, ein Bootstrip am Kongo 400!
Die paar Superreichen in ihren Hummer-Geländewägen, die sich die Gold- und Ölvorkommen des Landes gesichert haben, laben sich lieber an importiertem Hummer und Champagner, als ihre klimatisierten Villen in der Hauptstadt zu verlassen. Ab und zu sorgt eine opulente Modeschau im Olympic Palace Hotel für Abwechslung. Und sonst geht es zum Shopping am Wochenende nach Paris oder Mailand. Wozu hätte China sonst - natürlich völlig uneigennützig - einen topmodernen Flughafen finanziert und errichtet? Das hindert die Zöllner übrigens nicht daran, weiterhin ein Cadeau, ein Geschenk, zu erbetteln zu versuchen, um den Sicherheits-Check zu beschleunigen. Sicher ist sicher.
Über 900.000 Menschen, ein Fünftel des Landes, lebt in Brazzaville. Die wenigsten leben gut, und den Aeroport Maya-Maya kennen noch weniger. Die Stadt liegt am Pool Stanley (Malebo), einer seeartigen Erweiterung des mächtigen Kongo, mit ein paar asphaltierten Boulevards und vielen staubigen Seitengassen, wo viele junge Männer in Tarnuniform Yams und Fisch in Wellblechbuden verspeisen. Eine Mahlzeit kostet hier so viel wie ein paar Brösel der Schoko-Croissants in der Nobelkonditorei La Mandarine hinter der Hauptpost, wo es drei bunte Briefkästen für Inland, Ausland und Frankreich gibt.
Gläschen Congo-Cola
Außer ein paar Missionsstationen gibt es kaum Unterkünfte außerhalb der Hauptstadt Brazzaville, wo dem französisch-italienischen Marineoffizier und Afrikaforscher Pierre Savorgnan de Brazza 2006 ein Mausoleum errichtet wurde, die einzige offizielle Sehenswürdigkeit des Landes. Dahinter beginnen die Stromschnellen, Les Rapides, wo sich im schattigen Garten des Ausflugsrestaurants Site Touristique Les Rapides ein paar Expats und viele Militärs ein Gläschen Congo-Cola genehmigen. Gegenüber erhebt sich die Skyline von Kinshasa, Afrikas größte Metropole und Hauptstadt des großen Bruders Demokratische Republik Kongo (früher Zaire), wo allein dreimal mehr Menschen leben als in der gesamten Republik Kongo.
Das Land liegt im Nordwesten des Kongobeckens, ist seit 1960 unabhängig, hieß bis 1965 Kongo-Brazzaville, schließlich bis 1991 Volksrepublik Kongo, der erste marxistisch-leninistische Staat Afrikas. Mehr als die Hälfte besteht immer noch aus tropischem Regenwald, der auch zu Trockenzeiten kaum zugänglich ist. Hinter der schmalen atlantischen Küstenebene steigt das Land zu einem Hochplateau an, das an der Grenze zu Gabun über 1000 Meter erreicht, was den tropischen Dampf kaum erträglicher macht.
Rund zwölf Menschen leben auf einem Quadratkilometer, die meisten von der Landwirtschaft, die allerdings nur vier Prozent zur nationalen Wirtschaft beisteuert. Im Norden wird Lingala gesprochen, im Süden Kituba, und alle mitsammen sprechen ein wenig Französisch, wenn eine Schule in der Nähe war: Sie werden durchschnittlich nicht älter als 57, die Mehrheit davon lebt bis dahin in absoluter Armut, 74 Prozent haben nicht mehr als zwei Dollar pro Tag. Doch den Reichen im Armenhaus Zentralafrikas geht es besser als je zuvor. Und das hat vielschichtige Gründe.
Seit den 1980ern stellen Förderung, Verarbeitung und Export von Erdöl die wichtigste Einnahmequelle der Republik Kongo dar: Dieses sorgt für rund 90 Prozent der Exporterlöse, 70 Prozent der Staatseinnahmen und 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes; dazu wurden kürzlich zwei neue Off-Shore-Lagerstätten entdeckt.
Von der Unabhängigkeit weg ging man - den Einflüssen des französischen Linksintellektualismus folgend - bis 1990 eisern den Weg des Sozialismus. Nach dem weltweiten Zusammenbruch des Kommunismus wurde auch Zentralafrika von einer Welle versuchter Demokratisierung überrollt, die Pascal Lissouba 1992 - dem Jahr der ersten demokratischen Wahlen in der Geschichte des Landes - zum Präsidenten machten. Er löste Denis Sassou-Nguesso ab, der sich von 1979 bis 1991 an der Macht halten konnte, indem er das autoritäre marxistische System seines Vorgängers Marien Ngouabi übernahm, weil es sich bestens zur Festigung seiner Macht und zur Vergrößerung seines persönlichen Wohlstands eignete.
Sassou-Nguesso gilt als Pionier des Marxismus und als einer der reichsten Männer Afrikas. Laut Transparency International hat er Staatsvermögen veruntreut, besitzt zahlreiche Immobilien in Frankreich und hat neue Freundschaft mit China geschlossen, wie das in Afrika derzeit üblich ist.
Angeblich war der französische Mineralölkonzern Elf Aquitaine - und mit ihm das offizielle Frankreich - nicht unglücklich darüber, dass Sassou-Nguesso nach 1997 das Land in einen Bürgerkrieg verwickelte, 2002 wieder offiziell das Kommando übernahm und 2009 als Präsident wiederbestätigt wurde. Der pro-amerikanische Lissouba, dessen israelisch trainierte Präsidentengarde sich mit Sassou-Nguessos Leibgarde, den Cobras, blutige Gefecht lieferte, wurde danach in Abwesenheit zu 30 Jahren Straflager wegen angeblicher Bestechungszahlungen durch US-Ölkonzerne verurteilt. Mittlerweile ist er fast 82 und soll - wo sonst - in Paris leben.
Die Partei des Präsidenten, die Kongolesische Arbeiterpartei (PCT, Parti Congolais du Travail), gewann erst vor wenigen Monaten die jüngsten Parlamentswahlen mit deutlichem Vorsprung.
Verkommener Zoo
Der Bürgerkrieg ist seit 2003 vorbei. Der IWF prognostiziert für 2013 erneut ein Wirtschaftswachstum von über fünf Prozent, was die Champagnerkorken im Olympic Palace Hotel knallen lassen wird. Doch zu viele der vier Millionen Menschen haben Hunger und andere Sorgen als Nationalparks und nachhaltiges Wirtschaften.
Nicht alle Folgen des Machtkampfes sind beseitigt: Der Zoo von Brazzaville ist bis heute eine Ruine, für die immer noch ein paar Cents Eintritt kassiert wird: Bis auf drei verlauste Affen und etliche schmutzstarrende Vögel sind die meisten Käfige leer, ein totes Krokodil liegt in seinem eigenen Kot, die Stallungen sind von Unkraut überwuchert.
Landeinwärts wurde gewildert, bis kaum mehr ein Gorilla übrig war. Und deshalb hat Moses damals endlich einen Job gefunden: Als Wildhüter im Projet Protection des Gorilles (PPG) der Aspinall Foundation, die seit 1987 in der Republik Kongo und auch im Nachbarland Gabun Gorillawaisenkinder großzieht und dann wieder in freier Wildbahn ansiedelt. Zwischen 1996 und 2006 wurden auf einer Fläche von der Größe Salzburgs 51 Gorillas freigelassen, die Moses meist gerne mochten und Sid weniger, weil er ihnen immer die Orangen weggeschossen hat. Am liebsten auf vierrädrige Geländewagen am anderen Ufer seiner Insel, bei der Gorilla-Beobachtungsstation, was Moses ein wenig peinlich ist. Aber Gorillas dürfen das.
Günter Spreitzhofer, geboren 1966, ist Lektor am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien; Arbeitsschwerpunkte: Tourismus, Urbanisierung & soziokulturelle Transformation, Umwelt & Ressourcen.