Zürich. Die Türkei und Armenien haben ein historisches Abkommen zur Normalisierung ihrer Beziehungen geschlossen. Die Außenminister beider Länder setzten ihre Unterschriften am Samstagabend in Zürich unter das Abkommen, das unter anderem eine Öffnung der Grenze zwischen beiden Ländern vorsieht. Die Unterzeichnung hatte sich wegen armenischer Bedenken um über drei Stunden verzögert.
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Der armenische Außenminister Edouard Nalbandian und sein türkischer Amtskollege Ahmet Davutoglu schüttelten sich nach der Unterzeichnung in der Universität von Zürich demonstrativ lange die Hand. Ursprünglich hatten beide bereits um 17.00 Uhr ihre Unterschrift unter das Abkommen setzen sollen. Es habe aber "in letzter Minute" Schwierigkeiten mit der armenischen Seite gegeben, sagte ein Sprecher des US-Außenministeriums. Diplomatenangaben zufolge ging es um Differenzen über die Wortwahl in den Schlusserklärungen der Minister.
US-Außenministerin Hillary Clinton, die wie ihre Kollegen aus Russland, Frankreich und der EU zur Unterzeichnungszeremonie angereist war, gelang es aber, den Streit zu schlichten. Alle Beteiligten hätten sich darauf geeinigt, die geplanten Erklärungen einfach wegzulassen, hieß es aus türkischen Diplomatenkreisen. Schließlich ergriff bei der auf weniger als 15 Minuten gekürzten Zeremonie nur die Schweizer Außenministerin Micheline Calmy-Rey das Wort. Sie würdigte die "sehr wichtige Rolle" der beiden Außenminister Nalbandian und Davutoglu im Annäherungsprozess. Die Schweiz hatte zwischen den Nachbarstaaten vermittelt.
Das Abkommen besteht aus zwei Verträgen, die die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und die Wiedereröffnung der Grenze zwischen beiden Ländern vorsehen. In einigen vagen Formulierungen wird außerdem die Grundlage für weitere Gespräche gelegt.
Die Türkei hatte nach der Unabhängigkeit der ehemaligen Sowjetrepublik Armenien im Jahr 1991 keine Beziehungen zu dem Land aufgenommen. Grund ist vor allem der Streit um die Massaker an Armeniern zur Zeit des Osmanischen Reichs im Ersten Weltkrieg. Diesbezüglich vereinbarten die beiden Staaten die Einsetzung eines Historiker-Gremiums, das die damaligen Ereignisse aufarbeiten soll. Nach armenischer Darstellung verloren im ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts 1,5 Millionen Armenier ihr Leben, die Türkei spricht von Kriegswirren und Opfern auf beiden Seiten.
Wegen der Massaker ist das Abkommen vor allem in Armenien sehr umstritten. Präsident Serzh Sarkissian wandte sich deshalb am Samstag nochmals in einer Rede an die Nation an seine Landsleute. Dabei betonte er, dass es "keine Alternative" zu dem Normalisierungsabkommen mit der Türkei gebe. Am Freitag hatten in der Hauptstadt Eriwan rund 10.000 Menschen gegen die geplante Unterzeichnung des Abkommens demonstriert. Einige Teilnehmer trugen Plakate mit Slogans wie "Keine Zugeständnisse an die Türkei" und "Kein Handel über den Genozid". Oppositionspolitiker kündigten an, die Ratifizierung des Abkommens durch das armenische Parlament verhindern zu wollen.
Auch in der Türkei regte sich Widerstand von nationalistischer Seite. Yilmaz Ates von der oppositionellen Volkspartei kritisierte angebliche Zugeständnisse an Armenien und forderte das Nachbarland auf, "die Besatzung von Berg-Karabach" zu beenden. Die Türkei ist Aserbaidschan zugetan, zu dem das mehrheitlich von ethnischen Armeniern bewohnte Berg-Karabach gehört.
Der EU-Außenbeauftragte Javier Solana stellte beiden Staaten verbesserte Beziehungen zur Europäischen Union in Aussicht.
Erdogan rudert zurück
Einen Tag nach der Unterzeichnung eines Abkommens, das die Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien normalisieren soll, hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan neue Hürden aufgebaut. Eine Öffnung der Grenze zu Armenien, die in dem Abkommen vorgesehen ist, sei an Fortschritte bei einer Lösung des Konflikts um die Kaukasusenklave Berg-Karabach geknüpft, sagte Erdogan am Sonntag. Wenn Armenien sich nicht aus dem besetzten Gebiet zurückziehe, könne die Türkei in der Frage der Grenzöffnung "keine positive Haltung haben".
Armenien und Aserbaidschan streiten um Berg-Karabach, das überwiegend von Armeniern bewohnt wird. 1993 schloss die Türkei, ein Partner Aserbaidschans, deshalb die Grenze zu Armenien. Seit 1994 steht die umstrittene Enklave auf aserbaidschanischem Gebiet unter armenischer Kontrolle.