Zum Hauptinhalt springen

Armenien und Türkei vor diplomatischen Beziehungen

Von WZ Online

Europaarchiv

Die Türkei und Armenien wollen diplomatische Beziehungen aufnehmen. Die Regierungen beider Staaten hätten sich auf entsprechende Verhandlungen geeinigt, teilte das türkische Außenministerium am Montagabend in Ankara mit.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Verhandlungen sollten sechs Wochen dauern, sagte ein Ministeriumssprecher.

Hauptstreitpunkt ist die armenische Forderung, dass die Massaker an mehr als eineinhalb Millionen Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs als Völkermord anerkannt werden. Der Vorwurf des Genozids wird von der Türkei heftig bestritten.

Zudem gibt es den Konflikt um die von Armenien besetzte Kaukasus-Enklave Berg-Karabach, die völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört.

Die Bemühungen um eine Überwindung der diplomatischen Eiszeit zwischen der Türkei und der 1991 unabhängig gewordenen ehemaligen Sowjetrepublik Armenien setzten bereits im September des Vorjahres ein, als der türkische Staatspräsident Abdullah Gül zum WM-Qualifikationsspiel der armenischen Fußballnationalmannschaft gegen die Türkei nach Eriwan flog. Im vergangenen April verständigten sich Ankara und Eriwan auf einen Fahrplan zur Normalisierung der Beziehungen. Der armenische Präsident Sersch Sarkissian zeigte sich versöhnlich: "Der Prozess einer Anerkennung des Völkermordes richtet sich nicht gegen das türkische Volk, und die Anerkennung des Genozids durch die Türkei ist keine Bedingung für die Aufnahme bilateraler Beziehungen."

Die Bewertung der Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich war immer wieder Anlass für schwere Spannungen. Die Regierung in Ankara hat die Verantwortung dafür stets zurückgewiesen und die genannten Zahlen als übertrieben bezeichnet.

Schon die Revolte der Jungtürken, die am 27. April 1909 den seit 1876 regierenden Sultan Abdulhamid II. stürzten und dessen machtlosen Bruder Reschad unter dem Namen Mehmed V. als ihre Marionette auf den osmanischen Thron setzten, war von Massakern an Armeniern in mehreren Landesteilen begleitet. Nach einem Militärputsch 1913 führten die Jungtürken unter Enver Pascha die Türkei an der Seite Deutschlands und Österreich-Ungarns in den Ersten Weltkrieg gegen die Entente-Mächte. Nach schweren militärischen Niederlagen warfen sie den christlichen Minderheiten, vor allem den Armeniern, vor, den Kriegsgegner Russland zu unterstützen, und organisierten deren Verfolgerin und Deportation.

Armenien, mehrere westliche Staaten und ein Großteil der internationalen Forschung sehen es als erwiesen an, dass bei den Massakern zwischen 1915 und 1917 bis zu 1,5 Millionen Menschen starben, und sprechen von Völkermord. Die bürokratisch geplante Verfolgung der Armenier wurde mit Wissen der damaligen Verbündeten durchgeführt, wie unter anderem aus den umfangreichen Aufzeichnungen des österreichisch-ungarischen Militärattachés und k.u.k. Feldmarschall-Leutnants Joseph von Pomiankowski und den Berichten deutscher Diplomaten hervorgeht.

(APA)