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Armeniens erster Präsident meldet sich zurück

Von WZ-Korrespondent Christian Weisflog

Politik

Präsidentenwahlen könnten Kurswechsel in Eriwan bringen. | Eriwan. Trotz geschlossener Grenzen zur Türkei und Aserbaidschan wächst die armenische Wirtschaft rasant. Doch die harte Linie zu den Nachbarn bezahlt Jerewan mit zunehmender Abhängigkeit von Moskau. Die Präsidentschaftswahlen am Dienstag könnten einen Kurswechsel bringen.


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Eigentlich ging das christliche Armenien Anfang der 90er Jahre aus dem Krieg gegen den islamischen Nachbarn Aserbaidschan als Sieger hervor, doch der Territorialkonflikt um die Enklave Berg-Karabach bleibt bis heute eine schwere Last. Seit 1994 halten armenische Soldaten ein Fünftel des aserbaidschanischen Staatsgebiets besetzt, darunter auch Berg-Karabach, das bereits vor dem Krieg von einer armenischen Mehrheit bewohnt wurde.

Heute wird Armenien vom sogenannten Karabach-Klan - Armeniern, die in der Enklave aufgewachsen sind und für ihre Unabhängigkeit gekämpft haben - regiert: Dazu gehören auch der aktuelle Präsident Robert Kotscharian und Ministerpräsident Sergej Sarkisian.

Bis vor kurzem galt Sarkisian, der von 1993 bis 2007 Verteidigungsminister war, als Kotscharians sicherer Nachfolger. Doch dann meldete sich Lewon Ter-Petrossian zurück, der Armenien nach dem Zusammenbruch der UdSSR als Präsident in die Unabhängigkeit führte. Weil er bei der Regulierung des Karabach-Problems gegenüber Aserbaidschan zu große Kompromisse machen wollte, musste er 1998 zurücktreten. Bei den Präsidentschaftswahlen gilt er nun als Sarkisians größter Herausforderer. Im Falle eines Sieges könnte er vielleicht für ein Tauwetter im Südkaukasus sorgen.

Aserbaidschan wird militärisch stärker

Die Verhandlungen zwischen Armenien und Aserbaidschan über den künftigen Status der Enklave, die Rückführung der aserbaidschanischen Flüchtlinge sowie die Rückgabe der besetzten Territorien sind seit Jahren festgefahren. Das erdölreiche Aserbaidschan ist durch die gestiegenen Rohstoffpreise reich geworden und steckt immer mehr Geld in die Aufrüstung der Armee. "Ungefähr 2012 könnte Aserbaidschan versuchen, das Problem militärisch zu lösen", prognostiziert die auf Konfliktanalyse spezialisierte International Crisis Group in ihrem jüngsten Bericht. Armenien verlässt sich sicherheitspolitisch auf Russland, das seinen Militärstützpunkt in dem Land verstärkt hat und Eriwan zu Vorzugspreisen mit Waffen beliefert.

Seit 1993 hält auch der westliche Nachbar Türkei die Grenzen zu Armenien geschlossen, aus Solidarität mit dem aserbaidschanischen Brudervolk. Die Weigerung der Türkei, die opferreichen Deportationen von Armeniern durch das Osmanische Reich 1915 als Völkermord anzuerkennen, trübt die Beziehungen zusätzlich.

Diese Isolation hatte zur Folge, dass neue Eisenbahnverbindungen sowie Pipeline-Projekte zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer durch das nördlichere Georgien verlegt werden und armenisches Territorium umgehen.

Trotzdem wies die verarmte Republik in den vergangenen fünf Jahren ein Wirtschaftswachstum von mehr als zehn Prozent auf. Die Armut sank zwischen 1999 und 2005 von 56 Prozent auf 30 Prozent der Bevölkerung.

Im Vergleich zu anderen ehemaligen Sowjetrepubliken zeichnet sich Armenien durch ein relativ gutes Investitionsklima aus. Allerdings wächst auch in der Wirtschaft der Einfluss Moskaus.

Angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung dürfte in Armenien trotzdem alles beim Alten bleiben. Die meisten Beobachter gehen von einem Sieg Sarkisians aus. Wahlen verlaufen in Armenien zudem gewöhnlich nicht nach demokratischen Standards: Der "Kandidat der Macht" verfügt über genügend "administrative Ressourcen", um das Resultat zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Ter-Petrossian wird jedoch zugetraut, Sarkisian in einen zweiten Wahlgang zwingen zu können.