Fast verschämt hat die EZB ihre hochbrisante Vermögensstudie publiziert.
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Frankfurt. Sieben Jahre Vorbereitungszeit hat es gebraucht. Europaweit wurden in 62.000 Haushalten aufwendige Befragungen durchgeführt, die mindestens eine Stunde lang dauerten. Das Ergebnis ist die erste Vermögensstatistik, die europaweite Vergleiche von 15 Ländern ermöglicht. (Irland und Estland werden erst bei der nächsten Welle in drei Jahren mitveröffentlicht.)
Das Datenwerk sei "State of the art", versichern Insider. Vergleichbares habe es bis dato nur von der US-Notenbank gegeben. Warum versteckt die Europäische Zentralbank diesen Meilenstein dann mit einem kleinen Eintrag auf der Homepage, veröffentlicht noch dazu um 16 Uhr?
Sehr diskrete Publikation
Fast hat es den Anschein, als sollte das Licht der Öffentlichkeit tunlichst gemieden werden. Denn die Daten haben es in sich - und sind ein brandheißes Politikum. Schon im Vorfeld der Veröffentlichung hatte es wilde Medienspekulationen gegeben. Die EZB verschiebe den Zeitpunkt, um die Troika-Verhandlungen über ein Hilfspaket für Zypern abzuwarten, berichtete die "Frankfurter Allgemeine" vor einigen Wochen.
Der vermutete Grund: Zyperns Haushalte gehören zu den wohlhabendsten in der Eurozone. Das Median-Nettovermögen liegt demnach bei 267.000 Euro (das wäre jener Wert, bei dem 50 Prozent der Haushalte darüber und 50 Prozent darunter liegen).
Gerade die kleine Insel im Mittelmeer liegt somit auf dem beachtlichen zweiten Platz hinter dem (kaum überraschend) reichsten Land der Eurozone, Luxemburg. Auch Spanien hat sich mit einem fünften Platz weit nach vorne im Ranking der 15 Euroländer katapultiert, gefolgt von weiteren Euro-Sorgenkindern wie Italien und Frankreich. Auch Griechenland ist mit dem neunten Platz noch weiter vorne als das Land, das oft als Modell der sozialen Ausgewogenheit heranzitiert wird: Finnland (auf Platz 11).
Schon recht weit hinten befindet sich Österreich (Platz 12) mit einem Median-Nettovermögen von 76.400 Euro. Und auf dem letzten Platz landet erstaunlicherweise gerade jenes Land, das die Hauptlast der Eurorettung tragen muss: Deutschland.
Dort wird die Studie als glatte Provokation empfunden. Und es könnte die künftigen Verhandlungen bedeutend erschweren: Im Bundestag wird normalerweise über das Schicksal der sogenannten Sorgenkinder der Eurozone beraten - und deutsche Politiker laufen Sturm gegen die wiederholte Belastung des deutschen Steuerzahlers.
Das Bild des "armen" Südens, der zur Lösung der Eurokrise Solidarität des "reichen" Nordens einfordert, lässt sich nur schwer aufrecht halten. Andererseits: Dass Italiens Haushalte wohlhabend sind, während der Staat hochverschuldet ist, wusste man auch schon vorher. Was soll man daraus ableiten: Den Auftrag, Italiens Privatpersonen zu enteignen, um so den staatlichen Schuldenberg abzutragen?
Seit der Zwangsabgabe für Sparguthaben in Zypern sind solche Debatten keine bloße Theorie mehr. Wenn die öffentliche Debatte in diese Richtung läuft, könnte Anlegern in den betreffenden Ländern wie Italien und Spanien sehr rasch mulmig werden. Und ein Run auf die Banken ist das Letzte, was die Eurozone brauchen könnte.
OeNB "interpretiert nicht"
Dass die Vermögensdaten ein Politikum sind, musste auch die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) im Oktober 2012 erfahren, als sie ihren Teil der Studie publizierte. Sofort wurde sie in den Politstreit rund um eine Vermögenssteuer gerissen. Die OeNB-Zahlen würden die Ungleichverteilung der Vermögen und somit die Dringlichkeit der Vermögenssteuer belegen, leiteten die Sozialdemokraten und Grünen daraus ab. Die Arbeiterkammer sah die Studie als "seriöse Grundlage für die politische Diskussion".
Die ÖVP und die Wirtschaftskammer konterten kurz darauf mit einer IHS-Studie, die Versicherungs- und Pensionsansprüche in die Vermögenswerte einrechnete und somit zu völlig anderen Ergebnissen kam. Plötzlich belegte Österreich sogar einen Spitzenplatz in Sachen Verteilungsgerechtigkeit - noch vor skandinavischen Musterschülern wie Norwegen und Schweden. Manche warfen der OeNB sogar vor, sie habe der SPÖ Schützenhilfe für ihre Kampagne über Gerechtigkeit liefern wollen. Ein absurdes Argument, wenn man den langen Vorlauf und die internationale Dimension der Studie berücksichtigt. Bei der Nationalbank wehrt man sich obendrein massiv dagegen, für politische Zwecke instrumentalisiert zu werden. "Wir sind vereinnahmt worden", sagt Sprecher Christian Gutlederer zur "Wiener Zeitung". Dabei habe man ohnehin "keinerlei inhaltliche Interpretation der Studie" geliefert - und habe das auch jetzt nicht vor, wo die gesamten EZB-Daten veröffentlicht sind.
Spanier sind oft Eigentümer
Wie kommt es, dass die EZB-Studie ein so umgekehrtes Bild des reichen Südens und armen Nordens liefert? Der häufigste Vermögenswert ist (nach den Fahrzeugen) das Wohnungseigentum privater Haushalte. Rund 60 Prozent aller Haushalte in der Eurozone nennen ihren Wohnsitz ihr Eigentum, 40 Prozent haben ihn abbezahlt und nur rund 20 Prozent sitzen noch auf der Hypothek. Der Medianwert der Immobilie beläuft sich auf 180.300 Euro.
Nur in Deutschland und Österreich ist der Median-Haushalt ein Wohnungsmieter - wohingegen in allen anderen Länder der Eurozone dieser "typische" Haushalt zu den Wohnungseigentümern zählt. Das hängt einerseits mit unterschiedlichen Anreizsystemen zum Wohnungskauf zusammen, aber auch mit unterschiedlichen Miethöhen oder deren Deckelung (Mietpreisbindung).
11,1 Prozent der Personen in der Eurozone sind selbständig, der Medianwert dieser Unternehmen wird von der EZB mit 30.000 Euro angegeben. 75 Prozent der Haushalte besitzen Fahrzeuge, deren Medianwert mit 7000 Euro angegeben wird.
Finanzwerte sind so gut wie nur als Sparbücher vorhanden (96,4 Prozent besitzen Sparbücher oder Sichteinlagenkonten). Nur 33 Prozent verfügen über eine private Pensionsvorsorge bzw. Lebensversicherung. Alles, was darüber hinausgeht (Aktien, Anleihen), wird nur von 15 Prozent aller Haushalte besessen.
Keine Pensionsansprüche
Eine weitere Erklärung liegt in den umfassenden Sozialsystemen in Ländern wie Deutschland oder Österreich begründet: Zu den Vermögenswerten müsste etwa auch die Pensionsanwartschaft gerechnet werden, argumentiert etwa die Industriellenvereinigung (IV). Haushalte in anderen Ländern müssen viel höhere Kosten für Gesundheit einplanen oder Geld für die Ausbildung ihrer Kinder zurücklegen - oder auch für den Fall einer unfreiwilligen Arbeitslosigkeit. In Österreichs Wohlfahrtsstaat ist für viele solcher Eventualitäten vorgesorgt. Manche Experten sprechen von einem "staatlichen Zwangssparen", das den Haushalten zugutekommt, in der EZB-Statistik aber nicht berücksichtigt ist.
Einen Beitrag zur Frage, ob die Schere zwischen Arm und Reich weiter aufgeht oder nicht, liefert die EZB-Studie ohnedies nicht. Noch nicht: Die nächste Welle folgt in drei Jahren.