Wifo-Studie: Bei Einkommensschwachen steuert Gesundheitssystem gut ein Drittel zum Einkommen bei, bei Topverdiener nur einen geringen Anteil, der aber seit 2000 gestiegen ist.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Immerhin 27,8 Milliarden Euro gibt der Staat für Gesundheit aus, das waren 2015 etwa 8,1 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung Österreichs. Das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) hat in einer neuen Studie, deren Ergebnisse der "Wiener Zeitung" vorliegen, die (Um)Verteilungswirkung des heimischen Gesundheitssystems auf die Bevölkerung unter die Lupe genommen. Demnach profitieren von den Milliardenausgaben Ärmere signifikant mehr. Die Sachleistungen aus dem öffentlichen Gesundheitswesen belaufen sich bei den einkommensschwächsten Haushalten auf deutlich mehr als ein Drittel des gesamten Bruttoeinkommens. Bei den Topeinkommen ist es genau umgekehrt: Bei diesen macht der Anteil nur wenige Prozentpunkte aus.
Wifo-Studienautor Thomas Leoni fasst zusammen, dass sich bei einer Zuordnung der Gesundheitsausgaben nach Alter und Geschlecht der Haushalte eine relativ gleichmäßige Verteilung auf die einzelnen Einkommensgruppen zeigt. Die Ausgaben seien dabei "etwas überproportional" auf die mittleren Einkommensschichten konzentriert. Hingegen würden Haushalte in den oberen und im untersten Zehntel der Einkommen "geringfügig weniger Leistungen aus dem Gesundheitssystem erhalten", wird in der Verteilungsstudie analysiert.
Viel Interpretationsspielraum
Die Verteilungseffekte würden jedoch wesentlich deutlicher sichtbar, wenn man zusätzlich zum Alter und Geschlecht auch den individuellen Gesundheitszustand berücksichtige, hat Leoni festgestellt. Sein Fazit: "Der Ausgabenanteil, der an die Haushalte im unteren Einkommensdrittel geht, ist mit 36,5 Prozent in dieser alternativen Berechnungsvariante merklich höher als in der Basisvariante (33,6 Prozent). Gleichzeitig fällt der Anteil des oberen Drittels geringer aus (28,4 Prozent statt 31,4 Prozent)". Der Wifo-Experte weist allerdings selbst darauf hin, dass die Ergebnisse mit Vorsicht interpretiert werden sollten. Es sollten aber die Verteilungs- und Umverteilungswirkungen weiter erforscht werden.
Die Ergebnisse der alternativen Berechnungsvariante verdeutlichen seiner Ansicht nach, dass "die Umverteilungswirkung des öffentlichen Gesundheitssystems von Gesunden zu Kranken auch eine progressive Verteilungswirkung auf Einkommensebene hat". Vereinfacht ausgedrückt: Menschen mit geringerem Einkommen sind öfter krank, sie nehmen deswegen auch mehr Leistungen aus dem öffentlichen Gesundheitssystem in Anspruch.
"Das ist eine Folge der erhöhten Konzentration von Personen mit schlechtem Gesundheitszustand in den unteren Einkommensschichten. Die öffentlichen Gesundheitsausgaben haben als Realtransfer vor allem für diese Haushalte sehr große finanzielle Bedeutung", wird in der Untersuchung festgestellt.
Im Detail ergab sich das folgende Bild: In Relation zum Bruttogesamteinkommen machten die Gesundheitsausgaben 2015 im untersten Einkommenszehntel je nach Berechnungsvariante 37,8 Prozent oder 42,9 Prozent aus. Die Sachleistungen aus dem öffentlichen Gesundheitssystem tragen somit deutlich mehr als ein Drittel zum Bruttogesamteinkommen der Haushalte der Einkommensschwächsten bei. Im zweiten Zehntel ist dieser Anteil viel niedriger und sinkt in den weiteren Zehnteln kontinuierlich auf vier beziehungsweise drei Prozent.
Sozialpolitischen Zündstoff
Eine weitere Tendenz birgt besonderen Zündstoff für die sozial- und gesundheitspolitische Diskussion. Ein Vergleich mit Ergebnissen aus früheren Umverteilungsstudien lasse über die Zeit "eine tendenzielle Verschiebung" der Ausgaben zugunsten der oberen Einkommensgruppen vermuten: Der Ausgabenanteil des untersten Viertels oder untersten Drittels der Einkommen ging zwischen 2000 und 2015 zurück, während der Anteil des obersten Viertels beziehungsweise Drittels entsprechend stieg. Die mittleren Einkommensgruppen erhielten dagegen zwischen 2000 und 2010 einen weitgehend konstanten Ausgabenanteil, mit einem Anstieg zwischen 2010 und 2015, wird im Bericht festgehalten.
Ähnlich ist die Situation auch beim Bezug von Pflegegeld, das von rund 450.000 Menschen mit Behinderung in Österreich in Anspruch genommen wird. Vor allem die unteren Stufen des je nach Bedarf in sieben unterschiedlichen Höhen ausbezahlte Pflegegeld spielen dabei ein zentrale Rolle. Das Pflegegeld , für das von der öffentlichen Hand jährlich gut zwei Milliarden Euro ausgegeben werden, sei "ebenfalls überproportional auf das untere und mittlere Einkommenssegment konzentriert", dies gelte insbesondere für das zweite bis vierte Zehntel der Einkommensgruppen, analysiert Leoni in der Wifo-Umverteilungsstudie.
Der Umstand, dass das Mitte 1993 eingeführte Pflegegeld seither selten erhöht worden ist, findet ebenfalls seinen Niederschlag. Der Anteil der Pflegegeldleistung am Haushaltseinkommen ging zwischen 2010 und 2015 im Durchschnitt der betroffenen Haushalte zurück - nämlich von 11,5 Prozent auf 10,1 Prozent. Die Einkommensanteile lagen 2015, mit Ausnahme des untersten Viertels, in allen Vierteln unter den Werten für 2010.
Dieser Rückgang der relativen Bedeutung des Pflegegeldes als Einkommensbestandteil sei laut Leoni seit 2000 als Trend zu interpretieren. "Er kann dadurch erklärt werden, dass das Pflegegeld zwischen 2000 und 2015 nur zweimal angehoben wurde und seine Höhe nicht mit der Entwicklung der Gesamteinkommen Schritt hielt", heißt es im Wifo-Bericht.
Bezieher von Pflegegeld sind auch Opfer des Bruchs der türkis-blauen Koalition. Im Zuge der für Herbst angekündigten Pflegereform war ab Beginn des kommenden Jahres zumindest für einen Teil der Bezieher von Pflegegeld eine Erhöhung geplant und auch im ÖVP-FPÖ-Koalitionsabkommen vom Dezember 2017 festgeschrieben.