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Armut ist hausgemachtes Problem

Von Veronika Gasser

Politik

Auch in einem reichen Land wie Österreich ist Armut kein harmloses Phänomen, von dem nur wenige Randgruppen betroffen sind. In Österreich ist jeder Fünfte einmal in vier Jahren von Armut bedroht. Dies ergab eine Mittwoch präsentierte Studie des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik.


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Alle EU-Mitglieder sind im Rahmen des NAP (Nationaler Aktionsplan gegen Armut und soziale Ausgrenzung) verpflichtet, die soziale Situation im Land zu ermitteln. Ähnlich den Maastricht-Kriterien hat sich die Gemeinschaft das ehrgeizige Ziel gesteckt, die Armut erfolgreich zu bekämpfen. In dieser Vorgabe sieht der Leiter des Forschungszentrums Bernd Marin einen wesentlichen Anstoß für künftige Sozialpolitik, wie er gegenüber der "Wiener Zeitung" betont. Denn nach der Evaluierungsphase sind Maßnahmen gegen das materielle Elend gefordert.

"Armut ist kein Schicksal, an dem der Einzelne selbst Schuld trägt, sondern kann durch die richtige Arbeitsmarkt-, Sozial- und Verteilungspolitik erfolgreich vermieden werden." Mit dieser zentralen Aussage spielt der Sozialexperte des Wohlfahrtszentrums, Michael Förster, den "Verantwortungsball" den Entscheidungsträgern zu. In ihrer Hand läge es, die Verhältnisse zu ändern. Doch am Anfang müssen die Verhältnisse ohne Vorurteile und Scheuklappen untersucht werden. "Denn es gibt Armut, obwohl es sie nicht geben darf", erläutert Marin den paradoxen Teufelskreis, der zu politischer Ignoranz des Problems führe. Österreich liegt mit 900.000 Personen in relativer Einkommensarmut, von denen 340.000 akut in Armut leben, im unteren Durchschnitt innerhalb der EU- und OECD-Staaten, erläutert Förster. (Die vier nordischen Staaten und die Niederlande schneiden im Ländervergleich besser ab.) Trotz allem ist für die Experten Handlungsbedarf gegeben. Die Familienleistungen müssten intelligenter justiert und die Sozialhilfe reformiert werden. Denn letztere hat keine armutsvermeidende Wirkung. Für die meisten Betroffenen (rund 46 Prozent) ist es innerhalb eines Jahres möglich, sich aus dieser misslichen Lage zu befreien - wenn sie gut ausgebildet sind.

Doch für Risikogruppen wie Alleinerziehende ohne Einkommen, Langzeitarbeitslose, Nicht-EU-Bürger und allein lebende Pensionisten sind diese Möglichkeiten äußerst begrenzt. Auch Familien mit mehreren Kindern und einem "Ernährer" müssen oft hart am Limit kalkulieren. Ohne zusätzliche Unterstützung verfestigt sich ihr trister Lebenszustand. Um erst gar nicht in die Armutsfalle zu geraten, brauchen die Menschen eine gute Ausbildung und ausreichend dotierte Jobs. Ein signifikantes Ergebnis der Studie lautet: Wien ist anders. Während in den meisten europäischen Großstädten ärmere Bevölkerungsschichten stärker konzentriert sind, lässt sich in Österreich der gegenteilige Trend konstatieren.