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Armut ist weiter im Vormarsch

Von Heiner Boberski

Politik

Martin Schenk, Sozialexperte der evangelischen Diakonie und der Armutskonferenz, wünscht sich im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" "zumindest einen rationalen Diskurs" über das Thema Armut. Bei aktuellen Veranstaltungen dazu betonten die Redner, dass "dringender Handlungsbedarf" besteht.


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In Österreich gelten etwa 460.000 Menschen - 5,9 Prozent der Bevölkerung - als akut arm. Martin Schenk bedauert, dass der jüngste Sozialbericht diese Gruppe nicht genauer untersucht hat, sondern sich mehr den weniger präzise greifbaren "Armutsgefährdeten" gewidmet hat.

Dass die Zahl der Armen steigt, steht für Schenk außer Zweifel, alle Indikatoren hätten zugenommen: "Ansuchen um Sozialhilfe, Jugendarbeitslosigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit, Bedarf an psychosozialen Diensten. In den Schuldnerberatungsstellen gibt es schon drei Monate Wartezeit. Bei Caritas und Diakonie ist die Zahl der Hilfesuchenden in den letzten zwei Jahren um 30 Prozent gestiegen." Was sich Schenk wünscht, ist ein"rationaler Diskurs" über das Thema, nicht eine "Instrumentalisierung" durch die jeweilige Opposition. Bekanntlich sei auch in Deutschland unter Rot-Grün die Armutsschere weit aufgegangen.

Es gehe nicht nur um Arbeit, sondern auch um Löhne, von denen man leben könne, betont Schenk unter Hinweis auf die Zunahme der "working poor", und um Maßnahmen bei der Bildung. Das höchste Armutsrisiko tragen Personen, die nur einen Pflichtschulabschluss haben.

In einem Pressegespräch am Mittwochabend warf der Wiener Caritas-Direktor Michael Landau der Politik vor, sie lasse eine neue Unterschicht entstehen: "Wenn Österreich es sich leisten kann, europäisches Schlusslicht bei der Vermögensbesteuerung zu sein, so stellt sich bei der Armutsbekämpfung nicht die Frage, was man sich leisten kann, sondern was man sich leisten will", erklärte Landau. Eine bedarfsorientierte Grundsicherung ist für ihn als Grundstein zur Bekämpfung der Armut daher nicht nur "notwendig, sondern auch machbar und finanzierbar".

Würde man alle Risikogruppen (Pensionisten, Arbeitslose, Sozialhilfe-Empfänger und Familien mit Kindern) in eine Grundsicherung aufnehmen, fielen nach einer Berechnung aus dem Jahr 2001 jährlich 900 Millionen Kosten an, rechnete der Politologe Emmerich Talos vor.

Bei einer Diskussion "Mittelstand - wohin?" in der SPÖ-Zukunftswerkstätte (ZUK) am Mittwochabend sagte ZUK-Leiterin Gertraud Knoll, in Österreich sei die Verarmung seit 1957 noch nie so groß gewesen. Caritas-Präsident Franz Küberl trat für eine Grundsicherung ein. Eine Ausgleichszulage sollte ermöglichen, dass niemand in Österreich unter einer bestimmten Grenze leben müsse.