Sozialminister Wolfgang Mückstein will das Sozialhilfegesetz reparieren. Langzeitarbeitslose sind besonders stark armutsgefährdet, das Problem scheint sich durch die Krise zu verstärken.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
In Österreich sind 1,5 Millionen Menschen armuts- und ausgrenzungsgefährdet, jedes fünfte Kind ist davon betroffen. 233.000 Personen haben ein so geringes Einkommen, dass sie sich wesentliche Dinge des alltäglichen Lebens, beispielsweise eine Waschmaschine zu ersetzen oder die Wohnung im Winter warm zu halten, nicht leisten können. "In Österreich gibt es manifeste Armut", stellt Sozialminister Wolfgang Mückstein (Grüne) fest.
Während der Pandemie habe die Regierung versucht, den Anstieg von Armut zu verhindern - mit Kurzarbeit, Kinderbonus, Arbeitslosenbonus, temporärer Anhebung der Notstandshilfe, Erhöhung der Ausgleichszulage, Einmalhilfen und anderem mehr. Bis zum Sommer 2020 konnte das verhindern, dass das unterste Einkommensfünftel der Bevölkerung während der Pandemie nochmals Geld verloren hat.
Inwiefern Armut in Österreich durch die Pandemie ein zunehmendes Problem wird, zeigen die genannten Daten noch nicht. Sie beziehen sich auf das erste Halbjahr 2020, wo sich die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise noch nicht zeigten. "Was gar nicht passieren darf, ist, dass die Gesundheitskrise in einer Armutskrise endet", sagt Mückstein. Die Regierung habe das Ziel, die Armut in Österreich zu halbieren.
Weil das neue Grundsatzgesetz für Probleme sorgt, will sich Mückstein nun dafür einsetzen, die Schwächen des Bundesgesetzes zu reparieren. Die von der Arbeiterkammer geforderte Erhöhung des Arbeitslosengeldes kommentiert der Sozialminister nicht. Der Idee von weniger Arbeitslosengeld, wie das der Wirtschaftsbund gefordert hatte, erteilt er aber eine Absage: "Es ist nicht sinnvoll, in einer Pandemie anzudrohen, am Ende weniger Arbeitslosengeld zu bekommen. Ich glaube nicht, dass man hier mit Druck etwas erreicht."
Mängel bei der Sozialhilfe sind nicht leicht zu beheben
Mücksteins Vorgänger Rudolf Anschober pochte noch darauf, dass die Länder "ihre Handlungsspielräume bei der Sozialhilfe nutzen". Er selbst will nun einen Beschluss aus den für das Umsetzen der Sozialhilfe zuständigen Bundesländern aufgreifen: Diese haben ihn aufgefordert, ihnen im Bundesgesetz "Spielraum zu eröffnen", die durch die "grundsatzgesetzlichen Vorgaben entstandenen Versorgungslücken für hilfsbedürftige Personen zu schließen und besondere Härten abzumildern".
Was angesichts von sechs ÖVP-Landeshauptleuten überrascht, kann aber nicht als Aufstand gegen die türkis geführte Bundesregierung gedeutet werden. Unter den neun Soziallandesrätinnen und -räten befindet sich kein einziger von der Volkspartei: Sechs sind von der SPÖ, drei von den Grünen, einer von der FPÖ. Und aus der ÖVP, wo Klubobmann August Wöginger für soziale Fragen zuständig ist, heißt es lapidar: "Wir kommentieren das Thema nicht."
Langzeitarbeitslosigkeit wird zunehmend zum Problem
Langzeitarbeitslose sind im Vergleich zu anderen Arbeitslosen doppelt so häufig armuts- und ausgrenzungsgefährdet. Die Gruppe der Personen, die länger als ein Jahr arbeitslos ist, hat laut Wifo-Arbeitsmarktforscher Helmut Mahringer darüber hinaus drei hervorstechende Merkmale: "Ein höheres Alter, gesundheitliche Einschränkungen und maximal Pflichtschulabschluss".
Durch strukturelle Veränderungen wirken diese Merkmale noch stärker, erklärt der Ökonom: Die Babyboomer-Generation ist mittlerweile 50 oder älter. Die Gruppe Älterer am Arbeitsmarkt wächst, weil einerseits Pensionsreformen wirken, andererseits Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen länger arbeiten. Durch das generell höhere Bildungsniveau wird zwar die Gruppe Arbeitsuchender mit niedrigerem Bildungsabschluss kleiner. Aber: "Durch Digitalisierung und Globalisierung sinkt die Nachfrage stärker als das Angebot." Mit der Öffnung des Arbeitsmarktes Richtung Osteuropa hat sich die Situation für Niedrigqualifizierte in Österreich zudem verschärft.
Schon vor der Krise stieg der Anteil jener, die beim AMS länger als ein Jahr vorgemerkt waren, an. Im Krisenjahr 2009 waren von damals rund 260.000 im Jahresdurchschnitt 2,6 Prozent langzeitarbeitslos. Bis 2011 ging die Anzahl auf 247.000 Arbeitslose und der Anteil der Langzeitarbeitslosen auf zwei Prozent zurück. Diese Erholung war aber nur kurzfristig, die Arbeitslosigkeit stieg wieder, noch stärker aber der Anteil jener, die langzeitarbeitslos waren: 2017 waren 17,2 Prozent länger als ein Jahr arbeitslos. Selbst im wirtschaftlich gut laufenden Jahr 2019 waren es noch 15,9 Prozent von damals 301.000 Arbeitslosen. Im vergangenen Pandemiejahr schließlich 15,1 von 410.000.
Langzeitarbeitslose fanden schon vor der Krise seltener Arbeit als jene, die kürzer arbeitslos waren. 2020 aber waren von den 563.100 beim AMS Vorgemerkten, die wieder Arbeit fanden, nur 2,2 Prozent Langzeitarbeitslose, 2017 noch 4,2 Prozent. "Die Tendenz, dass sich Langzeitarbeitslosigkeit verfestigt, ist nun stärker", sagt Mahringer. "Das muss man offensiv angehen, auf betrieblicher wie individueller Ebene." Ob die Aktion Sprungbrett der Regierung reicht, könne man noch nicht beurteilen. "Man müsste überlegen, ob man auch im öffentlichen Bereich Einsatzmöglichkeiten schaffen kann."
Willst du diesen Inhalt sehen? Gib den anderen Cookies grünes Licht.