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Aromastoff und Müllabfuhr

Von Heinz Jaksch

Wissen

Sehr lange Zeit ein Schattendasein geführt. | 95 Prozent der Bakterien lassen sich nicht kultivieren. | Wien. (apa) Bakterien sind viel mehr als potenzielle Krankheitserreger. Nach jüngsten genetischen Analysen spielen sie praktisch in jedem Lebensraum - vom Wald bis zur Tiefsee - eine der ökologischen Hauptrollen. So nebenbei liefern Bakterien auch Aromastoffe in Früchten, halten Pflanzen gesund und fungieren als Müllabfuhr.


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Bakterien führten lange ein Schattendasein. Mediziner beschäftigten sich mit ihnen, meist aber mit dem Ziel, den Mikroorganismen gründlich den Garaus zu machen. Völlig zurecht gilt die Entdeckung des Penizillins als wirksames Mittel gegen bereits in den Körper eingedrungene Bakterien als Meilenstein der Medizin. Andererseits kennen Lebensmitteltechnologen und Abwasserexperten seit langem aber auch die nützlichen Seiten von Bakterien.

Wesentlich mehr Arten als bisher angenommen

Spätestens mit den Möglichkeiten der modernen Genetik erkennen Wissenschafter, dass sie in Sachen Bakterien erst an der Oberfläche kratzen. Durch Erbgut-Analyse in mehr oder weniger beliebigen Boden- oder Wasserproben zeigte sich, dass es wesentlich mehr Bakterien gibt als bisher angenommen. Lange galt die Kultivierung von Bakterien auf Nährboden als die wichtigste Untersuchungsmethode, doch heute weiß man, dass sich rund 95 Prozent der Bakterien überhaupt nicht kultivieren lassen, erklärt Mikrobiologin Gabriele Berg von der Technischen Universität (TU) Graz.

Ein bisher weit unterschätztes Forschungsgebiet ist etwa das Zusammenspiel von Pflanzenwurzeln, Bakterien und Pilzen. Bekannt waren Symbiosen von Waldbäumen mit Pilzen oder sogenannte Knöllchenbakterien bei bestimmten Pflanzengruppen, welche dadurch in der Lage sind, Stickstoff aus der Luft als Dünger zu nutzen.

Mikroben profitieren von der Symbiose

Durch gezielte DNA-Analysen wird nun das ganze Ausmaß der Bedeutung von Bakterien und Pilzen für Pflanzen erforscht. So fand Berg bei der Untersuchung von Erdbeerpflanzen, dass ein Gramm Wurzelmasse rund eine Milliarde Mikroben enthält. Anders ausgedrückt: Eine Erdbeerpflanze beherbergt mehr Mikroorganismen als Menschen auf der Erde leben. Sehr wahrscheinlich sind Erdbeeren keine Ausnahme.

Die Mikroben haben mehrfach positive Wirkung auf die Pflanzen und profitieren auch selbst von dieser Symbiose. "Die Mikroorganismen mobilisieren wichtige Nährstoffe wie Phosphor, Stickstoff oder auch Eisen, die für die Pflanzen ansonsten kaum verfügbar werden. Im Gegenzug erhalten die kleinen Helfer Nahrung von den Pflanzen in Form etwa von Kohlenhydraten."

Darüber hinaus verbessern und erhalten die Wurzelbakterien auch die Gesundheit ihrer Wirtspflanzen, indem sie sich wie ein Schutzschild über die Wurzeln legen. Das schafft einerseits eine mechanische Barriere gegen das Eindringen von pathogenen, krank machenden Keimen. Die Mikroorganismen setzen aber auch chemische Stoffe frei, mit denen sie Konkurrenten in Schach halten.

Gabriele Berg hat auch Moose und Flechten studiert. "Moose gelten als die ältesten Landpflanzen, daher hatten diese auch lange Zeit, um Symbiosen mit Mikroorganismen einzugehen", erklärt die Mikrobiologin. Tatsächlich fanden sich auch in Moosen ganze Heerscharen von Mikroben. Moosen werden allerlei gesundheitsfördernde Wirkungen nachgesagt, so gelten sie als pilzhemmend. Berg geht davon aus, dass diese Wirkungen vor allem auf die Tätigkeit von symbiotischen Mikroorganismen zurückgeht.

Flechten gelten in Lehrbüchern bisher als Symbiose von Pilz und Algen. Nach Untersuchungen der Bakterien, die dabei ebenfalls im Spiel sind, möchte die Mikrobiologin die Definition für Flechten ausweiten: "Es handelt sich um eine Symbiose aus Pilz, Algen und Bakterien." Nur in diesem Zusammenspiel können Flechten ihre erstaunlichen Fähigkeiten entwickeln und etwa Hitze und Trockenheit überstehen wie kaum ein anderer Organismus.

Bakterien bestimmen auch ganz entscheidend das Aroma von Früchten mit. Das erst kürzlich für Erdbeeren nachgewiesene Phänomen ist vermutlich weiter verbreitet als angenommen. Berg hat in Weintrauben ganz ähnliche Mechanismen gefunden. Die Untersuchungen liefern eine mögliche Erklärung, warum unter eher sterilen Bedingungen gezogene Früchte langweiliger schmecken als ihre wilden Varianten.

Bakterien finden sich nicht nur auf und in den Pflanzen, sondern auch innerhalb der reifenden Früchte. Sie spielen - nachweislich bei Erdbeeren und Weintrauben - eine Rolle als Müllabfuhr, indem sie anfallende Stoffwechselprodukte der Pflanzen weiter zerlegen. Dabei entstehen jene Substanzen, die bei Erdbeeren als besonders intensives Aroma geschätzt werden. Die Besiedelung mit diesen Mikroorganismen ist nicht auf jeder Pflanze gleich. Je weniger davon in den Früchten zu finden sind, desto langweiliger schmecken die Beeren.

Eine in ihrem Ausmaß bisher auch unterschätzte Rolle spielen Bakterien und Mikroorganismen in Gewässern. So spielt sich ein guter Teil des Stoffumsatzes dort in sogenannten Biofilmen ab, die von Bakterien, Pilzen, Algen und sonstigen Einzellern gebildet werden. Biofilme wachsen auf allen mehr oder weniger festen Oberflächen in nassen oder wenigstens feuchten Lebensräumen. In diesen Belägen spielen sich etwa wichtige Vorgänge der Selbstreinigung von Gewässern ab. Hier passiert der Abbau von Schadstoffen.