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Ärztearbeitszeit - heiße Kartoffel oder Generationenkonflikt?

Von Bernadette Grohmann-Németh

Gastkommentare
Bernadette Grohmann-Németh ist Ärztin für Allgemeinmedizin, Journalistin und Autorin des Buches "Elmedin und der Zaubertukan" über kranke Kinder im Spital.

Das Arbeitszeitproblem in Wiener Spitälern ist eine Frage des Geldes, der Kapazitäten, der Ressourcen - und des Widerstandes älterer Kollegen.


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Es ist offiziell: Die Ärztearbeitszeiten in Wiener Spitälern müssen geregelt werden, sonst droht eine Klage der EU. Laut dem österreichischen Gesetz sind Ärzten bis zu 72 Stunden durchgehender Dienst pro Woche erlaubt; in der EU nur 48 Stunden.

Möglich, dass es wieder um Geld geht oder um fehlende Ressourcen. Sehr wahrscheinlich werden Bund und Länder einander die Schuld zuschieben wie eine heiße Kartoffel. Als Allgemeinmedizinerin, die ihren Turnus in Österreich absolviert hat, habe ich jedoch noch etwas anderes beobachtet:

Interessanterweise gibt es immer wieder - selbst von älteren Kollegen - einen hartnäckigen Widerwillen gegenüber kürzeren Arbeitszeiten. Kaum steht die Möglichkeit im Raum, erhebt sich ein Raunen in den eigenen Reihen, das da lautet: "Wir hatten es früher noch schwerer, hatten regelmäßig von Freitag bis Sonntag Dienst; da sollen sich die jungen Kollegen bloß nicht beschweren!"

Mit diesem Killerargument werden die Wünsche der neuen Ärztegeneration nach familienfreundlichen Arbeitszeiten, Teilzeit, verantwortungsvollen Ruhepausen und dergleichen - die für andere Berufssparten wie U-Bahn-Fahrer oder Piloten eine Selbstverständlichkeit sind - im Keim erstickt.

Mich erinnert dies an die Einstellung mancher Kriegsveteranen oder an den Wunsch, andere ebenso leiden zu sehen, wie man selbst gelitten hat. Spricht sich die Mehrheit der Oberärzte einer Abteilung gegen eine Arbeitszeitverkürzung aus, so wird kein Assistenzarzt, der seine Karriere noch vor sich hat, es wagen, diese zu befürworten.

Doch nicht alles, was es früher gab, ist gut - die Menschheit entwickelt sich weiter. Wir haben das Penicillin entdeckt, wir operieren entzündete Blinddärme - warum sollte sich nicht auch an der Einstellung der "heldenhaften Aufopferung" etwas ändern? Zumal die Überlastung der Ärzte auch deren Patienten gefährdet. Wer möchte schon von einem Chirurgen operiert werden, der bereits seit 30 Stunden wach ist? Zumal der Mensch nach 24 Stunden Wachsein am Stück so reagiert, als habe er ein Promille Alkohol im Blut.

Interessanterweise funktioniert es in anderen Bundesländern. In Niederösterreich zum Beispiel können Kollegen aus vier Dienstzeitmodellen mit fixer Höchstarbeitszeit wählen. Müssen aufgrund von Personalausfall mehr Dienste besetzt werden, können sie einen Nachtdienst mehr übernehmen - aber nicht vier oder fünf wie in Wien. Die Abpufferung obliegt der Organisation, nicht den Mitarbeitern. In Schweizer Spitälern gibt es sogar reine "Ersatz-Dienstmannschaften" - in Österreich Utopie, da nicht bezahlbar.

Aufgrund des drohenden Ärztemangels kommen auf die Personalabteilungen der Spitäler harte Zeiten zu. Doch man kann es keinem Kollegen übel nehmen, wenn er dem Spitalsbetrieb zugunsten der Familie, der eigenen Gesundheit oder anderer Projekte den Rücken zukehrt. Jene, die bleiben, sollten nach Kräften unterstützt - und nicht behindert - werden, sonst droht das Gesundheitssystem zu scheitern.

Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel. Wie so oft wird dieser wohl erst möglich sein, wenn der Generationswechsel vollzogen ist.