Zum Hauptinhalt springen

Ärztegesetz 1998

Von Dagmar Wohlfahrt

Politik

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 26 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Bei der Neustrukturierung der Ärztekammer griffen Standesvertretung und Gesetzgeber auf Altbewährtes zurück. In Kurien soll die Ärztekammer künftig gegliedert werden. Ob man dabei eher die

Männerversammlungen im alten Rom oder die zentralen Verwaltungsbehörden des Vatikans als Vorbild für eine moderne Standesvertretung der Ärzte herangezogen hat, läßt sich nicht genau sagen.

Wie im alten Rom

Wie im alten Rom und wie im Vatikan, kennt auch das neue Ärztegesetz nur männliche "Amtsträger" und Berufsbezeichnungen. "Ärztinnen" kommen nicht vor, obwohl mittlerweile schon mehr als ein

Drittel der Mediziner Frauen sind, und im Vorjahr erstmals mehr Frauen als Männer das Medizinstudium erfolgreich absolvierten.

Die altrömischen Kurien · 30 hat es davon gegeben · dienten offensichtlich auch als Vorbild für die Aufsplitterung der Ärztekammer.

Jede Bundesländer-Ärztekammer und auch die bundesweite Vertretung wird künftig in drei Kurien gegliedert: eine für angestellte Ärzte, eine für niedergelassene Ärzte und eine für Zahnärzte. Die Kurien

· mit Ausnahme jener für Zahnärzte · sind wiederum in Sektionen gegliedert.

So gibt es in der Kurie für angestellte Ärzte die Sektion Ärzte mit jus practicandi und die Sektion Turnusärzte. Die Kurie für niedergelassene Ärzte umfaßt die Sektionen Praktische Ärzte und

Fachärzte. Die Kurien stellen jeweils einen Obmann und einen Obmann-Stellvertreter, wobei jede Sektion den Anspruch auf eine der beiden Funktionen hat.

Weiters werden ca. 100 Kammerräte gewählt, die dann die Volksversammlung stellen. Diese wiederum wählt den Präsidenten der Kammer, den Vizepräsidenten, den Finanzreferenten und weitere

Vorstandsmitglieder. Präsident, Vizepräsidenten, Kurienobleute und Finanzreferenten stellen den sogenannten Präsidialausschuß, das Spitzengremium der Ärztekammer.

Durch diese Neustrukturierung der Kammer erhofft sich die Standesvertretung eine verstärkte Partizipation der Ärzte bei den Entscheidungsprozessen. Die alte Gliederung der Ärztekammer in Fachärzte,

praktische Ärzte, usw. hat, nach Meinung der Ärztekammer, nicht darauf Rücksicht genommen, daß niedergelassene Ärzte völlig andere Probleme und Interessen haben, als angestellte (Spitals)-Ärzte, die

mittlerweile mit rund 51 Prozent schon die Mehrheit der Ärzteschaft stellen.

20 Jahre lang gefeilt

Wie schwierig es gewesen sein mußte, die Interessen der verschiedenen Gruppen unter einen Hut zu bringen, wird schon daran deutlich, daß rund 20 Jahre kammerintern an der Reform gefeilt wurde. Das

veranlaßte den sozialdemokratischen Gesundheitssprecher Guggenberger bei der Debatte im Nationalrat zur Feststellung: "Was lange währt ist endlich gut".

Dieser Meinung konnten sich jedoch die Abgeordneten der Oppositionsparteien nicht anschließen. Die Freiheitlichen, das Liberale Forum und die Grünen kritisierten eine "unnötige" Aufblähung der

Ärztekammer. Die Grüne Abg. Gabriela Moser hat nachgezählt: statt bisher 60 wird es künftig 160 Gremien in der Ärztekammer geben. Zuviel, wie sie meint.

Für den ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger ist dieser Vorwurf lediglich der verzweifelte Versuch, ein Haar in der Suppe zu finden". Rasinger sieht in der Neustrukturierung der Ärztekammer die

größte Reform seit 40 Jahren, die auch von den Ärzten selbst gemacht worden sei.

Für heftige Kontroversen bei der Debatte im Nationalrat sorgte jedoch nicht die Ärztekammerreform, sondern die Novellierung der ärztlichen Anzeigepflicht.

Mißhandlung: Melde- statt Anzeigepflicht

Nicht mehr zur Anzeige, sondern zur Meldung beim Jugendwohlfahrtsträger sind in Zukunft Ärzte verpflichtet, wenn sie bei Kindern Spuren von Mißhandlungen entdecken.

Die Intention des Gesetzgebers: dem Wohl betroffener Kinder ist durch die Verständigung des Jugendamtes oft besser gedient als durch eine Anzeige. Denn das Jugendamt kann die Täter veranlassen, sich

therapeutischen Maßnahmen zu unterziehen. Und nur wenn sich die Täter dazu bereit erklären, können die Jugendämter von einer Anzeige absehen. Ist das nicht der Fall müssen weiterhin sofort die

Strafverfolgungsbehörden eingeschaltet werden.

Durch die Anzeigepflicht wurden bisher oft therapeutische und psychosoziale Maßnahmen unmöglich gemacht. Nun soll die Therapie Vorrang vor einer Anzeige haben. Dieser "Vorrang" steht übrigens auch im

Einklang mit der geltenden Strafprozeßordnung, die dahingehend 1993 novelliert wurde.

Die Anzeigepflicht hat in der Vergangenheit oft dazu geführt, daß Eltern ihre mißhandelten und verletzten Kinder nicht ins Krankenhaus brachten oder sie suchten jeweils ein anderes Spital auf, um die

Mißhandlungen besser vertuschen zu können.

Ambulanztourismus abstellen

Gesundheitsministerin Eleonore Hostasch hofft, durch die Meldepflicht bei den Jugendämtern den sogenannten Ambulanztourismus abstellen zu können. Außerdem ist sie davon überzeugt, daß Ärzte nun

auch (unsichere) Fälle dem Jugendamt melden werden, bei denen sie bisher keine Anzeige erstattet hätten. Dadurch könnten die Jugendämter schon frühzeitig auf "Problemfamilien" aufmerksam werden.

Während neben den beiden Regierungsparteien, auch die Grünen und die Liberalen das Abgehen von der Anzeigepflicht befürworten, lehnt die FPÖ diese Neuregelung entschieden ab. Der Gesundheitssprecher

der FPÖ, Alois Pumberger, meinte polemisch: "Täterschutz darf nicht vor Opferschutz gehen".

Sachlicher argumentierte dann die FPÖ-Abg. und Kinderärztin Brigitte Povysil. Sie ist davon überzeugt, daß die Jugendämter gar nicht in der Lage sind, diese neue Aufgabe zu bewältigen.

Und der FPÖ-Abg. Harald Ofner glaubt, daß durch die Abschaffung der Anzeigepflicht vor allem in kleinen Gemeinden nun leichter Druck auf Ärzte ausgeübt werden könne, Fälle von Mißhandlungen den

Jugendämtern nicht zu melden. Aber nicht nur die Anzeigepflicht auch die ärztliche Pflicht zur Verschwiegenheit wird durch das neue Gesetz gelockert.

Der gläserne Patient?

Künftig muß der Arzt Daten und Krankengeschichten seiner Patienten weitergeben · an die Sozialversicherungsträger, an Krankenfürsorgeanstalten und auch, wie es im Gesetz wörtlich heißt, an

sonstige Kostenträger, gemeint sind private Krankenversicherungen.

Weiters dürfen Daten, die zur Abrechnung von Honoraren und Medikamenten notwendig sind, Dienstleistungsunternehmen überlassen werden. Allerdings sieht das Gesetz vor, daß solche Daten nur so

gespeichert werden dürfen, daß Betroffene weder bestimmt werden können, noch mit hoher Wahrscheinlichkeit bestimmbar sind.

Anonymes "Aids-Register"

Doch das dürfte ein frommer Wunsch bleiben, wie zum Beispiel das "anonyme" Aids-Register beweist. Aids gehört zu jenen Krankheiten, die die Ärzte von der Verschwiegenheitspflicht entbindet. Bei

einem positiven HIV-Test muß das Gesundheitsministerium informiert werden. Gemeldet wird neben dem Namen des Arztes, das Geschlecht des HIV-Infizierten, seine Initialen und das Geburtsdatum.

Der Journalist und Autor Gerald Reischl hat in seinem Buch "Im Visier der Datenjäger" aufgezeigt, daß es in Österreich relativ einfach ist, aus diesen Daten auf den Namen der Person zu

schließen: "Täglich werden in Österreich im Durchschnitt 240 Menschen geboren. Geht man davon aus, daß etwa 50 Prozent weiblich und 50 Prozent männlich sind, so läßt sich die Gruppe aufgrund des

Geburtsdatums und aufgrund des Geschlechtes reduzieren. Berücksichtigt man die Initialen, so wird die Gruppe noch kleiner. Bei zufällig namensgleichen Personen kann man über die Adresse des Arztes,

von dem die Meldung kommt, den HIV-Infizierten geografisch zuordnen."

Die Versicherung des Gesundheitsministeriums, solche Verknüpfungen nicht anzustellen, kann nicht wirklich beruhigen, solange die Möglichkeit besteht, daß sie gemacht werden könnten. Übrigens: für die

Krankenversicherungsanstalten (und deren Mitarbeiter) ist es noch einfacher herauszufinden, ob jemand an Aids erkrankt ist.

Die verschriebenen Medikamente erlauben jederzeit Rückschlüsse auf die Erkrankung. Daß derart sensible Gesundheitsdaten · nun ganz gesetzeskonform · in die Hände von Menschen geraten, die nicht der

ärztlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegen, wurde im Plenum von den Grünen und den Freiheitlichen heftig kritisiert.

Die FPÖ-Abg. Povysil outete sich zwar als eine Befürworterin des vernetzten Gesundheitsdatensystems, sie vermißt aber im neuen Gesetz klare Richtlinien. Das Grundrecht auf Datenschutz werde dadurch

unterlaufen, befürchtet Povysil. In der SPÖ ist man davon überzeugt, daß diese Kritik jeder Grundlage entbehre. Der SPÖ-Abg. Johann Maier sieht in der neuen Bestimmung nur eine notwendige

Anpassung an das geltende Datenschutzgesetz, denn die alte Regelung wäre "mißinterpretierbar" gewesen. Und er versichert, daß sich auch die SPÖ der Gefahr des "gläsernen Patienten" bewußt sei.

Im Gesundheitsministerium wiederum spricht man von einem Mißverständnis, und ist überzeugt, daß diejenigen, die diese Regelung kritisieren, das Gesetz gar nicht gelesen hätten.

Daß nun auch Daten von Gesundenuntersuchungen an Personen, die nicht der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen weitergegeben werden können, ist auch für die Grüne Abg. Moser ein Verstoß gegen das

Datenschutzgesetz. Außerdem glaubt sie, daß die Lockerung der Verschwiegenheitspflicht einer EU- Richtlinie (9546 EG/08) widerspreche, die mit 24. Oktober Gültigkeit erlangt hat.

EU-konformes Bohren

Im Widerspruch zu geltendem EU-Recht stand auch die bisherige Zahnarztausbildung in Österreich. Um Zahnarzt zu werden, mußte man zuerst Humanmedizin studieren und anschließend eine

Facharztausbildung absolvieren. Durch ein neues Studiengesetz wurde nun in Übereinstimmung mit europäischen Recht eine eigene Studienrichtung "Zahnmedizin" geschaffen.

Das Studium schließt mit der Promotion zum Doktor bzw. zur Doktorin der Zahnmedizin ab. Doctor medizinae dentalis (Dr.med.dent.) wird also künftig der korrekte Titel einer Zahnärztin oder eines

Zahnarztes lauten.

In Österreich bohren, bzw. Zähne behandeln dürfen ab 1. Jänner 1999 auch EU-konform ausgebildete Zahnärzte aus allen anderen EU-Staaten. Ab kommenden Jahr tritt nämlich die Dienstleistungs- und

Niederlassungsfreiheit auch im zahnärztlichen Bereich voll in Kraft.Õ

Dagmar Wohlfahrt ist Mitarbeiterin der ORF-Parlamentsredaktion

NOVEMBER 1998