Der Gesundheitsökonom Thomas Czypionka hält Gesundheitszentren für notwendig, um die Menschen gesünder zu machen.
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Wien. Mit dem Finanzausgleich haben sich Bund, Länder und Gemeinden auch für eine neue Strategie im Gesundheitsbereich geeinigt. Künftig soll, wie bereits berichtet, eine Planungsgesellschaft, in der Bund, Länder und Sozialversicherung vertreten sind, die Kapazitäten festlegen; also planen, welche Ärzte und Gesundheitsberufe in welcher Region benötigt werden. Die konkrete Ausgestaltung bleibt bei den Ärztekammern und Krankenkassen der Länder.
Allerdings sieht das Konzept auch vor, dass mehr Gesundheitszentren gebildet werden sollen. Das ist einerseits wichtig, weil es immer weniger Landärzte gibt, aber auch, weil damit eine bessere Versorgung gewährleistet werden soll. Derzeit ist ein Gesetz zur Ausgestaltung der Primary Health Care Center (PHC) in Ausarbeitung, die Ärztekammer hat sich aus diesem Prozess ausgeklinkt, weil sie grundsätzlich dagegen ist.
"PHC sind der Weg, den man aus gesundheitswissenschaftlicher Sicht gehen soll, weil wir aus Studien wissen, dass die Menschen dadurch gesünder sind", sagt Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom am Institut für Höhere Studien, zur "Wiener Zeitung". An diesen Gesundheitszentren wirken Ärzte und Vertreter verschiedener Gesundheitsberufe zusammen. "Ärzte sehen nur wenige Patienten eingehend, mit vielen wird auch per Mail oder Telefon eine kurze Konsultation gemacht, die Routinetätigkeiten werden von nichtärztlichem Personal erledigt. Die Behandlung richtet sich also viel differenzierter nach den Bedürfnissen der Patienten", berichtet Czypionka aus Erfahrungen in Schweden.
Die Krankheitsbilder einer Gesellschaft ändern sich, damit auch die benötigten Experten. Chronische Erkrankungen, zum Beispiel Diabetes, sind die neuen Herausforderungen. Dafür sind aber PHC viel besser geeignet als Einzelordinationen, weil eine Vielzahl von Gesundheitsberufen (Diätologen, Wundmanager usw.) ihre Erfahrung einbringen und einen besseren Krankheitsverlauf sicherstellen können.
Das Problem in Österreich: "Wir haben momentan das System der Einzelpraxis. Jetzt muss das neue System der Primärversorgung in größeren Einheiten umgesetzt werden", sagt Czypionka. Dagegen wehrt sich aber die Ärztekammer. Aus der Sicht des Gesundheitsökonomen geht es hier nicht um eine medizinische Argumentation, sondern einzig und allein um standesrechtliche Prinzipien. Es gehe um Machtverlust, sagt Czypionka.
Ärzte verstehen sich als Freiberufler, als selbständig, als unabhängig - auch wenn sie durch den Gesamtvertrag, der Öffnungszeiten, Arzthonorare und vieles mehr regelt, an die Sozialversicherung gebunden sind. Wenn nun Ärzte in PHC arbeiten, müssten sie dort - ähnlich wie im Krankenhaus - zum Teil angestellt werden, erklärt der Gesundheitsökonom. Damit wird allerdings aus dem Arzt ein Angestellter. Das PHC kann je nach Rechtsform - zu einem Wirtschaftsbetrieb werden und wandert von der Ärztekammer zur Wirtschaftskammer. Damit verliert die Ärztekammer an Einfluss.
Aus demselben Grund gebe es auch keine angestellten Ärzte in Gruppenpraxen. Eben, weil die Ärztekammer aus standespolitischen Überlegungen bisher gegen Anstellungen von Ärzten bei Ärzten eingetreten sei, um den freien Beruf nicht zu gefährden.
Czypionka sieht aber noch ein anderes Problem bei der österreichweiten Ausrollung der PHC - derzeit gibt es nur zwei im ganzen Staat: Es fehle an Erfahrung und Ausbildung für solche Gesundheitszentren. Denn dort sei eine ganz andere Art von Medizin gefragt. Es gehe um Interaktion, um ganzheitliche medizinische Betreuung. Österreichs Allgemeinmediziner seien dafür aber keineswegs vorbereitet. Zwar habe man bei der jüngsten Ausbildungsreform eine halbjährige Praxis bei einem Allgemeinmediziner vorgesehen, in anderen Ländern sei das lange üblich und dort seien es zwei Jahre, die in einer Arztpraxis gelernt werden müsse. Aber, so Czypionka: "Österreich ist ein Land, in dem Trippleschrittchen gemacht werden."