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Asiens geleaste Stabilität

Von Ralph Schöllhammer

Gastkommentare
Ralph Schöllhammer ist Volkswirt und Politikwissenschaftler am Zentrum für E-Governance der Donau-Universität Krems und Lehrbeauftragter an der Webster Universität Wien.

China und Singapur haben für das Internet ein Modell der totalen staatlichen Überwachung entwickelt, das im Westen kaum durchsetzbar wäre.


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Laut dem Autor Thomas Friedman ließen sich die politischen Probleme des Westens lösen, wenn man "China für einen Tag" sein könnte. Mittlerweile vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein bewundernder Artikel über die Effizienz der autoritären Systeme Asiens erscheint. Diese Popularität hat Folgen: Erstmals seit 40 Jahren ist die Zahl der Demokratien rückläufig. Wir erleben weltweit eine "antidemokratische Renaissance." Kann es sein, dass Staaten wie China und Singapur tatsächlich ein Alternativmodell zur liberalen Demokratie westlichen Vorbilds gefunden haben?

Einer der Grundpfeiler dieser neuen autoritären Systeme ist Technologie: Besonders in China und Singapur wird die IT-Revolution kunstvoll in den Dienst des Regimes gestellt. Anders als oft angenommen, unterbindet China trotz totaler Kontrolle keineswegs jegliche Kritik an der Regierung. Soziale Medien bieten der Bevölkerung bewusst ein Ventil für ihren Unmut. Soziale Netzwerke unterbindet das Regime nur dann, wenn sich Gruppen zu organisieren beginnen. Es fürchtet nicht den einzelnen Bürger, sondern organisierte regimefeindliche Strukturen. Ähnlich stark, nur etwas liberaler kontrolliert der multi-ethnische und multi-religiöse Staat Singapur die Online-Kommunikation der Bevölkerung, vor allem jene, die den Bestand des Staates untergraben könnten. Daher sind Anfeindungen religiöser oder ethnischer Gruppen tabu, da sie als Bedrohung für eine friedvolle Gesellschaft gesehen werden.

Im Gegensatz zu Gesellschaften im Westen empfindet man diese Überwachung nicht als Eingriff in individuelle Rechte, sondern als fairen Preis für eine stabile Gesellschaft. Allein deshalb ließe sich das asiatische Modell nur schwer übertragen, da die Idee der totalen staatlichen Überwachung im Westen nur schwer durchsetzbar wäre.

Sowohl China wie auch Singapur nutzen die Big-Data Revolution, um die Stimmung in der Bevölkerung zu antizipieren. Dadurch schaffen sie sich die Möglichkeit, präventiv zu handeln und größere Protestbewegungen zu vermeiden. Durch das Sammeln von Daten kaschieren autoritäre Systeme eine ihrer historisch größten Schwächen: Das Regime ist nicht mehr komplett isoliert von der Bevölkerung, sondern versucht deren Bedürfnisse vorauszuahnen und dadurch systemkritische Bewegungen bereits im Ansatz zu ersticken.

Bedeutet dies nun, dass das chinesische System ungefährdet ist? Höchstwahrscheinlich nicht, denn die wachsende Zahl an Mikrobloggern und einer politisch aktiveren Bevölkerung wird nicht folgenlos bleiben. Man sollte sich jedoch auch keine demokratische Revolution erwarten. China steckt in einer Transformation von einer reinen Diktatur hin zu einem Gesellschaftsvertrag, in dem das Regime weniger durch Gewalt und Einschüchterung als durch die Gewährleistung von sozialen Diensten und Wirtschaftswachstum seine Legitimität als allmächtiger Leviathan absichert. Ein solches System wird jedoch lange nicht demokratisch sein und trägt das Potenzial für den Rückfall in eine Unterdrückungsmaschine nach maoistischem Vorbild in sich. Niemand weiß, wie die Reaktion ausfallen wird, wenn der Staat seine Seite des Vertrages nicht mehr einhalten kann.