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Asoziales Streichen

Von Martina Madner

Politik
Mindestsicherungsbezieher in Niederösterreich
© WZ-Grafik

Die verfassungswidrigen Teile der niederösterreichischen Mindestsicherung trafen auch Österreicher. Was nun weiter passiert.


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Wien/St. Pölten. Die Freude über das Urteil des Verfassungsgerichtshofs zur Mindestsicherung in Niederösterreich ist groß - zumindest bei Sozialorganisationen. Paragraf 11a zu "Mindeststandards - Integration", wonach jene, "die sich innerhalb der letzten sechs Jahre weniger als fünf Jahre in Österreich aufgehalten haben", weniger Geld erhielten, und 11b über die "Deckelung der Mindeststandards" auf 1500 Euro pro Haushalt sind verfassungswidrig - und damit nicht mehr gültig.

"Wegweisend" und "außerordentlich" ist das für Herbert Pichler, Präsident des Österreichischen Behindertenrats. "Menschenwürde kann nicht gedeckelt werden", betont Caritas-Sprecher Christoph Riedl-Daser. Und Christian Moser, dem SOS-Kinderdorf-Geschäftsführer, zeigt es, dass "die Unterstützung für Kinder, Jugendliche und Familien in Not nicht Daumen mal Pi je nach der politischen Stimmungslage stattfinden darf".

Einhellige Meinung aller Vertreter von Sozialorganisationen, in den Worten von Michael Chalupka, Direktor der Diakonie Österreich: "Das Ziel kann jetzt nur sein, eine verfassungskonforme österreichweite Mindestsicherung zu gestalten, die für alle Menschen in Notsituationen, unabhängig von ihrer Herkunft, existenzsichernd ist."

Vom Deckel waren kaum Asylwerber betroffen

Doch so weit ist weder die Bundesregierung, diese will die Rechtslage österreichweit bis Ende des Jahres vereinheitlichen. Noch das vom VfGH-Urteil akut betroffene Niederösterreich - auch dort muss man auf ein neues Gesetz warten: Der noch für die Materie zuständige Soziallandesrat Franz Schnabl (SPÖ) warnt seinen Nachfolger Gottfried Waldhäusl (FPÖ) vor weiteren "populistischen Schnellschüssen", die "die Schwächsten der Gesellschaft massiv benachteiligen".

Waldhäusl wird erst am 22. März mit der neuen Landesregierung angelobt. Er nimmt das Urteil zwar zur Kenntnis, lässt aber auch wissen, dass es auch bei einer Neuregelung "definitiv einen Unterschied zwischen berufstätigen Niederösterreichern und Asylberechtigten geben muss". Martin Schenk, Sprecher des Dachverbands Armutskonferenz, kann dem entgegnen: "Es wird zwar Asyl gesagt, aber gestrichen wird dann bei allen. Deckel drauf - das heißt Kinder klein machen, unter Verschluss halten, hinunter drücken, Chancen rauben."

Tatsächlich berichtete die "Wiener Zeitung" bereits im vergangenen Herbst von einer in Krems lebenden Österreicherin, deren Mindestsicherung, als sie obdachlos geworden war und mit anderen in eine Krisennotwohnung zog, von 844,46 Euro auf 226,81 Euro gekürzt wurde. Und auch die Zahlen des Landes Niederösterreich zeigen anderes: 1,1 Prozent der Einwohner Niederösterreichs bezogen im Februar 2018 Mindestsicherung, das waren genau 16.242 Personen. Rund 41,5 Prozent sind sogenannte Aufstocker: Das heißt, diese Personen haben ein Einkommen, sie verdienen aber so wenig, dass sie zusätzlich Mindestsicherung erhalten. So kommt es, dass die insgesamt 4,7 Millionen Euro durchschnittlich pro Person und Monat nur 291 Euro ergeben.

Das Gesetz gilt - bis auf die verfassungswidrigen Passagen

Aber nicht nur das: Vom nun verfassungswidrigen Deckel auf maximal 1500 Euro pro Haushaltsgemeinschaft waren genau 5186 Personen betroffen. Nur 764 davon - das sind 14,7 Prozent - waren Asylberechtigte. Und die nun ebenfalls verfassungswidrigen Mindeststandards für Integration galten für 4323 Personen.

Was passiert nun weiter? Die Richter des Landesverwaltungsgerichtes prüfen die 160 Beschwerden in den kommenden Wochen nach den neuen rechtlichen Gegebenheiten. Sie sind in ihrer Entscheidung dabei - wie Richter sonst auch - frei, deshalb kann man dem Ergebnis nicht vorgreifen. Die große Bandbreite reicht von einem Erkenntnis darüber, wie hoch der Mindestsicherungsanspruch hätte sein sollen, und einer Nachzahlung über die Anweisung an die Behörden, die Ansprüche neu zu berechnen. Da das Landesverwaltungsgericht jeden Einzelfall neu prüft, könnte am Ende der Prüfung auch ein Beschluss stehen, dass die Voraussetzungen für den Mindestsicherungsbezug überhaupt nicht gegeben war.

Und an die Behörden gibt es einen Erlass der Landesregierung, dass die Mindestsicherung nun wieder so zu berechnen ist wie vor dem Gesetz, das nun passé ist.