Zum Hauptinhalt springen

Assad, der Urheber des Übels

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Bei all den Bemühungen um ein gemeinsames Vorgehen sollte man nicht vergessen, wer der eigentliche Urheber des Bürgerkriegs in Syrien ist.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Kairo. Der Wind im Mittleren Osten dreht sich. Jetzt wird in Wien diskutiert, ob der syrische Präsident an der Macht bleiben kann, zumindest für eine Übergangszeit. Der Bürgerkrieg in Syrien reduziert sich auf die Bekämpfung der Terroristen des "Islamischen Staates". Bashar al-Assad wird fast schon als kleineres Übel angesehen.

Spricht man allerdings mit Syrern in den Kampfgebieten oder lässt syrische Flüchtlinge in Europa zu Wort kommen, so ist es mitnichten der IS, der für sie die schlimmste Bedrohung darstellt. Einige lokale syrische NGOs zusammen mit internationalen Menschenrechtsorganisationen benennen mit ihren Zahlen den tatsächlichen Aggressor. Demnach gehen von den nach UN-Angaben 250.000 toten Zivilisten in den zurückliegenden vier Bürgerkriegsjahren 95,3 Prozent auf das Konto des Regimes in Damaskus, mit al-Assad an der Spitze. Nur knapp 1 Prozent seien vom IS getötet worden. Für gut 2 Prozent der Toten soll Al-Nusra, ein Al-Kaida-Ableger, verantwortlich sein, 1,3 Prozent haben die anderen Rebellengruppen auf dem Gewissen, 0,2 Prozent die Kurden. Wenn auch diese Zahlen nicht im Detail überprüfbar sind, so ist die Tendenz doch eindeutig: Nicht der IS, mit all seinen Gräueltaten, ist der Kern für die unendlichen Leiden der syrischen Bevölkerung, sondern das Regime. Auch während die Weltmächte in Wien am Verhandlungstisch sitzen, wirft die syrische Luftwaffe Fassbomben und Raketen über der Stadt Dumaa ab. Inzwischen sind 60 Prozent der Infrastruktur Syriens zerbombt und fast die Hälfte der Bevölkerung in die Flucht getrieben.

IS bedient Medienbedürfnisse

Eines allerdings muss man den Dschihadisten des Islamischen Staates zuschreiben. Seitdem sie sich im April 2013 aus der Rebellenfront in Syrien herauslösten, haben sie den Mittleren Osten gewaltig auf den Kopf gestellt. Mit einer Mischung aus Brutalität und Medienverstand machen sie Jagd auf Junge und Verzweifelte, Marginalisierte und Desillusionierte. Zusammen mit angelockten Ausländern errichteten sie ein löchriges, aber mittlerweile durchaus stabiles Kalifat über die Grenzen von Syrien und Irak hinweg. Die vor 99 Jahren durch das französisch-britische Sykes-Picot-Abkommen festgelegten Grenzlinien sind passé.

Wenn die letzte Ruine von Palmyra in Trümmer gesunken ist, wird der IS vermutlich wieder ein paar spektakuläre Hinrichtungen filmen. Das klingt zynisch, aber so funktioniert das Medienverständnis der Dschihadisten. "Der IS bedient unser Nachrichten- und Bilderbedürfnis, er weiß, wie wir funktionieren und nutzt das", sagt der "Spiegel"-Korrespondent Christoph Reuter, der wie kein Anderer die Lage in Syrien von Anfang an beobachtet hat. "Ohne die Medien", so sein Fazit, "wäre der IS nicht das, was er ist."

Doch noch ein anderer ist an der Bedeutung, die dem IS beigemessen wird, maßgeblich beteiligt: Bashar al-Assad selbst. Obwohl er vorgibt, gegen die Terrormiliz zu kämpfen, begünstigte er wesentlich ihren Aufstieg. Sayeed Moqbil, einer der bekanntesten Oppositionellen Syriens, hat beobachtet, dass das Regime und der IS nicht wirklich Gegner sind. "IS kämpft gegen die syrische Zivilbevölkerung und nicht gegen das Regime. Und umgekehrt ist das auch der Fall." Den Dschihadisten fehle es an Feuerkraft aus der Luft, um dem Regime tatsächlich Paroli zu bieten. Das Regime dagegen habe kampflos oder mit wenig Widerstand strategisch wichtige Gebiete dem IS überlassen. "Wer hat die Gefängnisse für extreme Islamisten geöffnet? Und wer hat denen die Kontrolle über Rakka, Deir al-Zor und kürzlich Palmyra ohne Gegenwehr überlassen?" Der Verdacht drängt sich auf, dass beide erheblich voneinander profitieren.