Umkämpfte Stadt nach Dauerbeschuss nur noch ein Trümmerfeld.
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Damaskus. Zwei Wochen wurde erbittert gekämpft, dann waren die syrischen Rebellen besiegt. Die strategisch wichtige Stadt Kusair ist vollständig in den Händen der Regierung, zahllose Oppositionelle sind gefallen oder in Gefangenschaft geraten. Zuletzt befanden sich 1200 Verletzte in der Metropole an der syrisch-libanesischen Grenze. Nach tagelangem Trommelfeuer ist Kusair eine Schuttwüste, ein Großteil der einst 30.000 Einwohner geflohen. Ob die Rebellen alle bis zuletzt verbliebenen Zivilisten erfolgreich aus der Stadt schleusen konnten, ist unklar.
Vor dem entscheidenden Angriff am Mittwoch hatte die Armee die mangelhaft bewaffneten Anti-Assad-Kämpfer aus der Luft und mit Boden-Boden-Raketen systematisch niedergebombt. Ausschlaggebend für den militärischen Erfolg des Regimes war der Einsatz von rund zweitausend Hisbollah-Milizionären, die verbissen für das Überleben des Regimes Assad kämpfen. "Die heroischen Sicherheitskräfte haben Ordnung und Sicherheit in der ganzen Stadt wiederhergestellt", vermeldete die staatliche Nachrichtenagentur Sana. Das syrische TV zeigte Bilder, auf denen Soldaten syrische Flaggen in Schutthaufen rammen.
Offenbar wurde die Stadt in den frühen Morgenstunden durch einen Überraschungsangriff eingenommen. Das wird auch von den Rebellen bestätigt, die sich hastig in Richtung libanesische Grenze abgesetzt haben. Armee und Hisbollah hatten Kusair zuletzt vollständig eingeschlossen, dann wurde ein kleiner Korridor in Richtung der Ortschaften Debaa und Arsal geöffnet, um den Rebellen den Abzug zu ermöglichen. Schon vor Tagen hatten die Oppositionellen die Kontrolle über große Teile Kusairs verloren.
Im Siegestaumel
Die Soldaten der syrischen Armee, die in den vergangenen Monaten an verschiedenen Fronten in die Defensive geraten waren, sind in euphorischer Stimmung: Vorrückende Panzer, deren Besatzung die Finger zum Victory-Zeichen formt - das hat es schon länger nicht gegeben. "Wir werden alle, die uns angreifen, mit eiserner Faust zerschmettern. Ihr Schicksal ist Aufgabe oder der Tod", lautet die düstere Ansage des Armeeoberkommandos in Damaskus. Man werde nicht ruhen, bis man "jeden Zentimeter des syrischen Territoriums" unter Kontrolle habe. Kusair sei der Anfang vom Ende der Rebellen, jetzt werde es überall nur noch Siege geben, so die Armee.
Die Angst geht um, dass jene Zivilisten, die Kusair nicht verlassen haben, vergewaltigt und hingerichtet werden. Die Stadt hat sich eindeutig auf die Seite der Rebellen geschlagen, Strafaktionen des Regimes sind wahrscheinlich. Was mit den hunderten verletzten Rebellen geschieht, die sich in Kusair befinden, ist ebenfalls unklar. Menschenrechtsorganisationen fordern, dass das Rote Kreuz sofort Zugang zu den Verwundeten bekommt. Dutzende bewaffnete Rebellen sollen bis zuletzt in der Stadt geblieben sein, um den Rückzug zu decken. Auch ihr Schicksal ist ungewiss.
Faktum ist, dass das totgesagte Regime Assad fester im Sattel sitzt als je zuvor. Die Armee war in der Lage, das syrische Kernland - die Region von Damaskus über Homs an die Küste - zurückzuerobern. Bis jetzt hatten die Rebellen die Autobahnen nach Norden und nach Süden unter Kontrolle. Das ist mit dem Fall Kusairs vorbei. Das Regime kann nun Verstärkung und Nachschub ungehindert in die umkämpften Städte Homs, Hama und Aleppo bringen. Die Versorgung der Luftwaffe und der Panzer mit Sprit funktioniert wieder. Die Rebellen sind im Gegenzug ihrer Versorgungswege beraubt.
"Stalingrad" für Opposition?
Damit ist fraglich, wie lange sich die Assad-Gegner noch in Homs und Hama und schlussendlich in Aleppo, der größten Stadt Syriens, halten können. "Der Spiegel" spricht bereits davon, dass sich Kusair für die Rebellen als ein Stalingrad erweisen könnte - somit der Anfang vom Ende eingeläutet ist. Die Armee wird von Russland und dem Iran mit Waffen - darunter schweres Gerät - versorgt, während notorische Zerstrittenheit die Rebellen immer nachhaltiger schwächt. Großbritannien und Frankreich hoffen, den Zusammenbruch notfalls durch Waffenlieferungen an die Opposition aufzuhalten. Der deutsche Bundesnachrichtendienst BND sieht die Rebellen noch nicht vor der totalen Niederlage, glaubt aber, dass Assad noch lange in der Lage sein wird, seine Gegner in Schach zu halten.
Unterdessen ist es so gut wie erwiesen, dass im syrischen Bürgerkrieg Chemiewaffen zum Einsatz kommen. Während Großbritannien und die UNO mit Vorwürfen gegenüber dem syrischen Regime noch zurückhaltend sind, erklärte Frankreich am Dienstag, erstmals "zweifelsfreie" Beweise für die Verwendung durch die Regierung Assad zu besitzen. Künftig seien "alle Optionen auf dem Tisch", erklärte Außenminister Laurent Fabius in einer ersten Reaktion und schloss damit auch eine militärische Intervention nicht aus. Dann relativierte Regierungssprecherin Najat Vallaud-Belkacem: Eine "unilaterale und isolierte Entscheidung Frankreichs" werde es nicht geben, vielmehr sei nun die internationale Gemeinschaft gefragt.
US-Präsident Barack Obama hatte den Einsatz von Chemiewaffen als "rote Linie" bezeichnet, deren Überschreitung ein Eingreifen in den Konflikt rechtfertige. Danach sieht es nicht aus.