Opposition gelingt es, Stadtviertel in Damaskus einzunehmen und zu halten.
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Beirut/Damaskus.
Der innerste Zirkel von Syriens Machthaber Bashar al-Assad ist ins Fadenkreuz der Rebellen geraten. Am Mittwoch explodierte ein Sprengsatz in einem Konferenzzimmer, in dem Minister und hochrangige Sicherheitskräfte saßen. Die Wirkung der Detonation war enorm, unter den Toten befinden sich der syrische Verteidigungsminister Daoud Rajha und dessen Stellvertreter, Assads Schwager Assef Shawkat. Syrische Quellen sprechen von einem Selbstmordanschlag, möglicherweise explodierte eine versteckte Bombe. Das staatliche syrische Fernsehen berichtete, die Tat gehe auf "Terroristen" zurück. Assads Schwager Shawkat erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Unter den Toten soll sich auch General Hassan Turkmani befinden, der die Krisenzelle zur Zerschlagung der Rebellion geleitet hat.
Unklar ist zur Stunde, ob der syrische Innenminister Mohammed Ibrahim al-Shaar unter den Toten ist, wie mehrere arabische Sender berichteten. Das syrische Staatsfernsehen widerspricht dem; der Gesundheitszustand des Politikers sei demnach stabil, er sei nur verletzt worden. Unklar ist, wo sich Assad und seine Gattin Asma zum Zeitpunkt des Attentats aufhielten. Der Anschlag auf die Regierungsmitglieder ereignete sich unweit des Gebäudes der EU-Delegation, die Diplomaten zeigten sich in ersten Reaktionen um ihre Sicherheit besorgt.
Assads Schwager ist öffentlich selten in Erscheinung getreten, der 62-Jährige galt aber als eine wichtige Stütze des syrischen Regimes. Oppositionellenverbände bezeichnen seinen Tod als "schweren Verlust für Assad". Shawkat habe eine tragende Rolle bei dem Versuch des Regimes, den Aufstand niederzuschlagen, gespielt. Bei der Opposition galt er als "eiserne Faust", die gnadenlos gegen Assad-Gegner vorging. Klar ist auch, dass der Getötete nur ein Rad von vielen in der Unterdrückungs-Maschinerie des syrischen Diktators ist.
Zu dem Attentat bekannten sich vorerst zwei Gruppen: Die islamistische Rebellen-Organisation Liwa al-Islam erklärte auf ihrer Facebook-Seite, man habe das Krisenkontrollzentrum in Damaskus angegriffen. Die Freie Syrische Armee, in der Rebellen lose zusammengeschlossen sind, bekannte sich über einen Sprecher ebenfalls zu dem Anschlag. "Das ist der Vulkan, von dem wir gesprochen haben. Wir haben gerade erst begonnen", hieß es von dieser Seite.
EU-Diplomaten fürchten um ihre Sicherheit
Die syrischen Rebellen sind am Mittwoch offenbar in einer konzertierten Aktion gegen Assads Führungsriege vorgegangen. Nach dem ersten Anschlag soll es weitere in Damaskus gegeben haben. Augenzeugen berichten von fünf Detonationen im nordwestlichen Hauptstadtbezirk Muhajireen. Dort befindet sich ein Militärstützpunkt, der von Assads gefürchtetem Bruder Maher geführt wird. Es war nicht klar, ob diese Einheiten Ziel eines Angriffs waren.
Bombenanschläge auf Vertreter des syrischen Regimes gehören seit Monaten zur Strategie der Assad-Gegner. Es wurden bereits einige hochrangige Militärs durch Autobomben aus dem Weg geräumt. Durch derartige Angriffe sind in Syrien bereits hunderte Menschen ums Leben gekommen. Mit dem jüngsten Anschlag aber wollten die Rebellen das Regime, das sie seit 16 Monaten bekämpfen, mitten ins Mark treffen.
Auch wenn die Attentate noch nicht das unmittelbare Ende der Herrschaft Assads bedeuten: Die Diktatoren-Familie kann sich nach dem jüngsten Anschlag wohl nirgendwo mehr sicher fühlen und befindet sich ab jetzt in gewisser Weise auf der Flucht. Die Schlinge um den Hals des Machthabers zieht sich enger und enger, auch die Verbündeten in Moskau und Teheran gehen nicht mehr davon aus, dass sich Assad noch lange hält.
Seit mittlerweile vier Tagen toben heftige Kämpfe in Damaskus, auch am Mittwoch gab es heftige Gefechte. Die syrische Armee greift innerhalb der Stadtgrenzen von Damaskus zu schwerem Kriegsgerät, um den Vormarsch der oppositionellen Kräfte aufzuhalten. Gestern nahmen Sicherheitskräfte die Stadtviertel Qaboun und Barzeh von Kampfhubschraubern aus unter Beschuss. Gefechte zwischen den Regierungstruppen und der Freien Syrischen Armee (FSA) gab es auch in den Stadtteilen Midan und Kafar Souseh. Die Armee hat Zivilisten in den von den Rebellen gehaltenen Stadtvierteln aufgefordert, diese Gebiete umgehend zu verlassen.
Obwohl die syrischen Spezialeinheiten dem Gegner militärisch weit voraus sind, haben die Syrer den Eindruck, dass die Entscheidungsschlacht begonnen hat. Der Politologe Rami G. Khouri ist der Ansicht, dass der zweite große Wendepunkt des Aufstandes gegen Assad erreicht ist. Der erste habe im Mai 2011 stattgefunden, als der gefolterte und verstümmelte Körper des 13-jährigen Hamza Khatib seinen Eltern übergeben wurde. Der Aufstand erfasste damals das ganze Land. Das Regime, so Khatib, habe mit der Tötung des Jungen seine Grausamkeit unter Beweis gestellt. Dass das Regime nun Panzer in Damaskus einsetze, habe einen ähnlichen Effekt auf die Bevölkerung. Jetzt könne das Regime nicht mehr behaupten, dass alles in Damaskus ruhig sei.
Auch die Propaganda der Opposition läuft auf Hochtouren: Die Operation "Damaskus Vulkan und Erdbeben Syriens" sei der erste strategische Schritt zum allgemeinen Ungehorsam. Die beiden Stadtviertel Midan im Süden und Tadamon im Osten seien nicht länger unter Kontrolle der Regierungstruppen, die Armee beschieße die Stadtviertel jetzt von außen. Zudem kündigen die Rebellen eine landesweite Offensive an. Auch die syrischen Muslimbrüder sind der Überzeugung, dass das der Anfang vom Ende des syrischen Regimes ist, dass Assad langsam die Kontrolle über das Land verliert.
Die militärischen Erfolge der Rebellen führen den Assad-Gegner vor Augen, dass sie unter Umständen auch ohne Hilfe des Westens siegen könnten. Viele Oppositionelle wollen unbedingt verhindern, dass ausländische Soldaten ihren Fuß auf syrisches Territorium setzen.
Rebellen setzen sich in Damaskus fest
Tatsächlich ist die Opposition den Regierungstruppen in der direkten Konfrontation immer noch deutlich unterlegen. Allerdings kontrollieren Assads Gegner einige Landstriche. Verkehrsverbindungen von Ost nach West sind für die Regierungstruppen teilweise nicht mehr durchgängig befahrbar, damit sind Nachschubwege abgeschnitten. Zudem scheint es den Regierungstruppen nicht zu gelingen, die von Rebellen kontrollierten Stadtviertel in Damaskus rasch zurückzuerobern - ein Zeichen für die militärische Stärke der Opposition, die einen Hubschrauber über der Hauptstadt abgeschossen haben will.
Jetzt wächst die Sorge, ein in die Enge gedrängter Assad könnte in einem letzten Versuch, seinen Untergang aufzuhalten, zu Chemiewaffen greifen. Es gibt Berichte, wonach die syrische Führung Bestände bereits aus den Lagern geholt hat. Frankreich bestätigte, dass Informationen vorliegen, dass es "Bewegung bei den Chemiewaffen" in Syrien gibt. Frankreich versuche, den Wahrheitsgehalt dieser "Gerüchte oder Informationen" zu überprüfen, so ein Sprecher des französischen Außenamtes, der die Lage als "besorgniserregend" schildert. Das "Wall Street Journal" hatte berichtet, dass Chemiewaffen in Syrien womöglich verlagert würden, Syriens Ex-Botschafter im Irak, Nawaf Fares, äußerte ähnliche Befürchtungen.
Die mit Spannung erwartete Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über eine Resolution zu weiteren Sanktionen gegen Assad wurde unterdessen auf heute verschoben. Sondervermittler Kofi Annan sieht noch die Möglichkeit eines Kompromisses mit Russland zu einem von Großbritannien, Frankreich, den USA, Deutschland und Portugal eingebrachten Resolutionsentwurf. "In einem Moment, wo eine Schlacht um die syrische Hauptstadt tobt, wäre die Annahme von Sanktionen eine einseitige Unterstützung von Revolutionären", begründet Außenminister Sergej Lawrow die bis dato harte russische Linie.