Kairo. (dpa) Die Brandstifter, die an diesem Wochenende in Damaskus und Beirut die Vertretungen Dänemarks und Norwegens zerstört haben, sind zum großen Teil junge Männer, die in dem Streit um die Mohammed-Karikaturen ein Ventil für ihre Wut auf den Westen gefunden haben. Sie stellen die Kontroverse um ein Dutzend Zeichnungen in eine Reihe mit der US-Invasion im Irak, mit Washingtons Unterstützung für Israel und der "Einmischung des Westens in den arabischen Ländern". Doch spielen bei den Protestaktionen in beiden Ländern auch innenpolitische Faktoren eine Rolle.
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In Beirut richtet sich die Gewalt erst gegen das dänische Konsulat, dann aber auch gegen ein christliches Gotteshaus und mehrere Geschäfte in einem vorwiegend von Christen bewohnten Viertel. Die islamische Schiitenpartei Hisbollah, deren Milizionäre an der Südgrenze gelegentlich Israelis angreifen, halten sich raus. Vielmehr sind es sunnitische Geistliche, die den Protest angezettelt haben. Als die Protestaktion aus dem Ruder läuft, fühlen sie sich für den Geist, den sie aus der Flasche gelassen haben, aber plötzlich nicht mehr verantwortlich. Einer von ihnen versucht erfolglos, die "Allahu Akbar" schreienden Jugendlichen zu bremsen. "Die Brandstiftung wollten wir nicht", sagt er hinterher.
Ministerpräsident Fouad Siniora sieht hinter dem gewalttätigen Ausbruch "Kräfte, die einen Keil zwischen die verschiedenen Religionsgruppen treiben wollen". Das ist ein schwerwiegender Vorwurf in einem Land, in dem die Angehörigen der verschiedenen Konfessionen 15 Jahre lang in einen blutigen Bürgerkrieg verstrickt waren.
In Damaskus waren wenige Stunden davor junge Männer mit Kinnbärten mit lauten Rufen durch die Straßen gezogen. Die syrische Polizei, die auf Regimekritiker gerne mal die Knüppel niedersausen lässt, hält sich zurück. Erst als die Brandstifter die dritte westliche Botschaft erreichen, stellt sie sich ihnen in den Weg. Fast sieht es so aus, als sei die sonst allgegenwärtige Staatsmacht gar nicht unglücklich über die Wut, die sich hier entlädt, ist diese doch nicht gegen das Regime von Präsident Bashar al-Assad gerichtet, sondern gegen Ausländer.
Denn Syrien ist ein straff organisierter Polizeistaat, der Protestaktionen nur dann zulässt, wenn sie dem Regime genehm sind. "Konnte oder wollte der syrische Staat die Angriffe nicht verhindern?", fragt deshalb am Sonntag eine Moderatorin des Nachrichtensenders Al-Arabija. Doch ihre Gesprächspartner aus dem Dunstkreis der Führung drücken sich um eine klare Antwort.
"Auf jeden Fall ist klar, dass keine der bekannten islamischen Bewegungen Syriens zu den Protesten aufgerufen hatte", sagt Mohammed Habash. Der gemäßigte Islamist sitzt als Unabhängiger im Parlament und gilt vielen Syrern, die der verbotenen Muslimbruderschaft nahe stehen, als "islamisches Feigenblatt des Regimes".
Arabische Beobachter glauben, dass die säkulare syrische Regierung die Kontroverse um die Mohammed-Karikaturen für eigene Zwecke ausschlachtet. Denn dass nach dem islamischen Königreich Saudi-Arabien ausgerechnet Syrien aus Protest gegen die Karikaturen seinen Botschafter aus Dänemark abzieht, ist auf den ersten Blick schon erstaunlich. In Syrien herrscht offiziell Religionsfreiheit und selbst moslemische Parlamentarier schämen sich nicht, im Fastenmonat Ramadan tagsüber in ihren Büros zu essen.
Doch seit dem Attentat auf den früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri vor knapp einem Jahr steht die Führung der einstigen Regionalmacht mit dem Rücken zur Wand. Erst musste Assad seine Truppen aus Libanon abziehen. Dann rückte ihr, mit Rückendeckung aus Paris und Washington, ein UN-Ermittlerteam zu Leibe, das eine Beteiligung syrischer Funktionäre an dem Attentat vermutet.
Der Ärger der syrischen Moslems über die Karikaturen gibt der Führung nun die Möglichkeit, sich in einer Frage, die vielen am Herzen liegt, mit den eigenen Islamisten, die zum Großteil Kritiker des Regimes sind, zu solidarisieren. Gleichzeitig kann Präsident Assad dem Westen zeigen: Seht her, wenn ihr unsere säkulare Regierung stürzt, dann werden Islamisten künftig in Syrien das Sagen haben.