Aleppo ist gefallen, die Einnahme von Idlib steht bevor. Syrien wird vom Regime "stabilisiert".
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien/Damaskus. Der völlige militärische Zusammenbruch der Rebellen in Aleppo ist besiegelt. Fast im Stundentakt verloren die Gegner des Regimes am Montag wichtige strategische Punkte in der Stadt, hunderte Kämpfer streckten die Waffen. Immer wieder drohten versprengte Verbände eingekesselt zu werden, es blieb nur noch die Flucht. Die zusammengeschmolzene Rebellen-Enklave Aleppos stand unter Dauerbeschuss. Doch leisteten einige wenige verzweifelte Kämpfer bis zuletzt erbitterten Widerstand. "Sie können sich ergeben oder sterben", fasst Generalleutnant Said al-Saleh von der syrischen Armee die Optionen zusammen.
Vom Leid der Zivilisten ganz zu schweigen. Niemand weiß, wie viele Kinder, Frauen und alte Menschen in den letzten Wochen umgekommen sind.
Die Einnahme Aleppos ist der größte Sieg des im Westen verfemten syrischen Machthabers Bashar al-Assad in dem mittlerweile fast sechs Jahre andauernden Krieg. Seine Karten sind jetzt so gut wie nie zuvor: "Die Städte Damaskus, Hama und Homs befinden sich weitestgehend in den Händen des Regimes", sagt der renommierte deutsche Syrien-Experte, Universitätsprofessor Günter Meyer, gegenüber der "Wiener Zeitung". "Widerstand in ganz großem Ausmaß findet sich in der Provinz Idlib." Auch die Rebellen aus den vom Regime belagerten Gebieten, denen man freies Geleit zugesichert habe, seien in diese Region gezogen. "Dort werden die weiteren Kämpfe bis zur Niederlage der Anti-Assad-Milizen stattfinden", so Meyer.
Das sieht der Syrien-Experte der österreichischen Landesverteidigungsakademie, Walter Posch, genauso. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" meint er, dass Idlib "ein blutiger Kampf Mann gegen Mann" bevorstehe, "genauso wie in Aleppo". Beide Experten verweisen darauf, dass die syrische Armee kein Interesse habe, den Islamischen Staat frontal anzugreifen. "Das kann man getrost den USA mit Unterstützung der Kurden überlassen", sagt Meyer. Zudem wolle die türkische Armee mit Hilfe dschihadistischer Kräfte bis zur IS-Hochburg Rakka vorstoßen.
Historischer Wendepunkt
Die Schlacht um Aleppo, in der Tat ein strategischer Wendepunkt: "Assad kontrolliert ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, und das vor allem dort, wo das Land dicht besiedelt ist. Dort leben mehr als zwei Drittel der syrischen Bevölkerung", sagt Meyer. "Es deutet jetzt alles darauf hin, dass das Assad-Regime nach seinem Erfolg in Aleppo die Provinz Idlib unter seine Kontrolle bringen wird ebenso wie den Bereich im Süden von Damaskus."
Besser könnte es für Assad auch deshalb nicht laufen, weil am 20. Jänner Donald Trump als US-Präsident angelobt wird. "Trump hat ganz deutlich gesagt: Den Regime-Wechsel in Damaskus, der bei Vorgänger Barack Obama ganz oben auf der Prioritäten-Liste war, gibt es bei ihm nicht mehr", sagt Meyer. "Bei ihm steht der Kampf gegen den IS im Vordergrund."
In der Tat hat sich Assad jahrelang bemüht, den Kampf gegen Terroristen - also alle seine Gegner - zur international anerkannten Priorität zu machen. "Wenn Trump zu seinen Aussagen steht, dann bedeutet das aus der Sicht von Damaskus, dass es hier wieder zur Stabilisierung Syriens kommen wird. Und wenn die dicht besiedelten Gebiete im Westen unter Kontrolle des Regimes sind, kann man sich in Folge auch dem IS zuwenden", sagt Meyer. Die USA bezeichnet der deutsche Experte als Verlierer im strategischen Schachspiel: "Die USA haben die Rebellen im Osten von Aleppo massiv mit Waffen versorgt", sagt Meyer. Doch ein großer Teil hätte sich in Folge der Al-Nusra-Front, die der Al-Kaida nahesteht, beziehungsweise dem Islamischen Staat angeschlossen, weil die Kämpfer dort wesentlich besser bezahlt worden seien. Die USA hätten zuletzt gesehen, "dass sie den eingeschlossenen Rebellen nicht mehr zu Hilfe kommen können, wenn sie nicht eine direkte Konfrontation mit Russland riskieren wollen".
Doch auch wenn es Assad gelingen sollte, seine Herrschaft im ganzen Land wiederherzustellen, steht er vor einer unlösbaren Aufgabe: Große Teile vieler Städte liegen in Trümmern, die Infrastruktur ist in weiten Teilen zerstört, hunderttausende Menschen wurden getötet, elf Millionen Syrer vertrieben, die Hälfte davon flüchtete außerhalb des Landes. Er ist international weitgehend isoliert und die Gefahr, dass die geschlagenen Rebellen einen Guerillakrieg starten, ist gewachsen.