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Assads schmutzige Schlacht um Idlib

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Die Lebensbedingungen der Menschen in der Kriegsprovinz sind kaum vorstellbar, sagt "Ärzte ohne Grenzen".


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Noch hat Syriens Präsident Bashar al-Assad die Rebellenhochburg Idlib nicht vollends unter seine Kontrolle gebracht. Als Haupthindernis für den Rückeroberungsfeldzug galt lange Zeit die Türkei, die als selbsterklärte Schutzmacht der Aufständischen alles daransetzte, Assad und seinen Verbündeten Russland davon abzuhalten.

Doch die Lage hat sich in den letzen Wochen deutlich zugespitzt. Assads Soldaten und die Armee von Präsident Reccep Tayyip Erdogan stehen inzwischen in direkter Konfrontation zueinander. Vor drei Tagen hat die Türkei unter dem Namen "Frühlingsschild" eine Militäroffensive in Nordsyrien gestartet. Gestern teilte das türkische Verteidigungsministerium mit, zwei syrische Suchoi-Su-24-Jets, die zuvor "unsere Flugzeuge angegriffen" hätten, seien abgeschossen worden. Zudem habe die Türkei eine Drohne, acht Helikopter und mehr als 100 Panzer der Regierung Assad zerstört. Um die Behauptung zu unterstreichen, stellte das türkische Militär ein Video auf YouTube ein, das die Angriffe zeigen soll. Die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana hingegen spielt den Fall herunter und behauptet, dass die türkische Armee zwar die beiden syrischen Kampfflugzeuge "ins Visier" genommen hätte. Die beiden Piloten seien jedoch abgesprungen, es gehe ihnen gut. Moskau spricht gar von "Fake News": Es sei alles gar nicht wahr. Kriegsrhetorik, in der jede Partei das zum Ausdruck bringt, was ihr gefällig ist.

Erdogan reist zu Putin

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in London ordnet das Geschehen realistischer ein und spricht von "mindestens 19 Soldaten der syrischen Regierung", die getötet wurden. Damit sei die Zahl der toten syrischen Soldaten in 72 Stunden auf 93 gestiegen, Tendenz steigend. Gegen anfänglichen Widerstand ist Russlands Präsident Wladimir Putin nun anscheinend doch bereit, Erdogan zu treffen, um einen Waffenstillstand zu verhandeln. Der türkische Präsident hatte ursprünglich einen Vierergipfel mit Deutschland und Frankreich angeregt, um eine weitere Eskalation in Idlib zu vermeiden. Putin wollte davon nichts wissen. Angesichts der zunehmenden türkischen Angriffe wird der Russe den Türken am Donnerstag aber doch empfangen - ohne Angela Merkel und Emmanuel Macron.

Unterdessen halten die Kämpfe in der Provinz Idlib unvermindert an, hunderttausende Zivilisten sind auf der Flucht. Es sollen sogar bis zu eine Million sein. "Eine so große Fluchtbewegung innerhalb kürzester Zeit ist selbst in neun Jahren Syrien-Krieg beispiellos", sagt der Leiter der Diakonie Katastrophenhilfe, Martin Kessler. Es trete jetzt ein, wovor humanitäre Helfer seit Monaten warnen: Das humanitäre Völkerrecht werde völlig missachtet, hunderttausende Menschen müssten aus Todesangst fliehen. Im Laufe des Krieges hätten schon Hunderttausende in der Provinz Idlib Schutz gesucht. Selbst in Bauruinen fänden sie inzwischen kaum mehr Platz. "So haben die Flüchtlinge keine andere Chance, als im Freien zu übernachten - und das bei klirrender Kälte." Um die Zivilbevölkerung nicht weiter unter den Kämpfen leiden zu lassen, dürften die Kriegsparteien die Flucht nicht behindern. Humanitären Organisationen müsse der Zugang zu den Menschen in der Region ermöglicht werden, meint Kessler.

Die in der Schweiz registrierte internationale Organisation "Ärzte ohne Grenzen" betreibt im Nordwesten Syriens, wo derzeit die Kämpfe toben, eine Spezialklinik für Opfer von Verbrennungen. Außerdem mobile Kliniken für allgemeine medizinische Hilfe und Grundversorgung. Die Ärzte dort sprechen von willkürlichen Angriffen auf Wohngebiete in der Provinz Idlib.

"Wir wissen nicht, wie wir erreichen können, dass sie diese wahllosen Angriffe stoppen", sagt Cristian Reynders, Projektkoordinator für Nordwestsyrien am Telefon. "Wir wissen nicht, wie wir erreichen können, dass sie humanitäres Völkerrecht einhalten. Wir haben viele Male von den Kriegsparteien in Syrien und ihren Verbündeten gefordert, die Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht einzustellen, auch vor dem UN-Sicherheitsrat. Wir verlangen mit äußerster Dringlichkeit, dass die Regeln des Krieges endlich eingehalten werden. Zivilisten und zivile Infrastruktur müssen geschützt werden. Dieser Appell richtet sich an die syrische Regierung und ihre Unterstützer, inklusive ihres wichtigsten militärischen Verbündeten Russland, ebenso wie an die oppositionellen Gruppen und die Türkei."

Dramatische humanitäre Lage

Zwei der Krankenhäuser, "Idlib Central" und Maarat Misrin, schickten erste Auszüge aus den Patientenregistern. Darin sind 66 Patienten mit schweren oder lebensbedrohlichen Verletzungen aufgeführt, die größere chirurgische Eingriffe erforderten. Mindestens 14 der schwerverletzten Patienten waren Kinder. Zudem wurde auch die direkte Umgebung von beiden Krankenhäusern beschossen. Geschosse schlugen weniger als 100 Meter entfernt ein. Vier Mediziner des Krankenhauses "Idlib Central" wurden durch die Explosionen verletzt. "Wie viele Mütter müssen ihr Baby im Arm halten, während überall Bomben fallen? Wie viele Väter müssen ihre Kinder beruhigen und sie zum Lachen bringen, während überall Feuer ausbricht", fragt Reynders. "Die Menschen in Idlib hoffen nur noch, am Leben zu bleiben. Ihre Hoffnungen werden von Minute zu Minute, von Tag zu Tag geringer."