Die österreichische Krankenpflegerin und Humanbiologin Karin Taus ist gerade von einem fünfwöchigen Einsatz in Liberia zurückgekehrt. Der Umgang mit Ebola stellte auch sie vor völlig neue Probleme.
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Dass Karin Taus einmal äußerlich zerbricht, ist zwar kein Ding der Unmöglichkeit, allerdings unwahrscheinlich. Karin ist eine starke Frau, in jederlei Hinsicht. Die niederösterreichische Krankenschwester im Dienste von "Ärzte ohne Grenzen"/ "Médecins Sans Frontières" (MSF) hat bereits viel gesehen und erlebt - zuletzt hautnah etwa die Kriege in Syrien und Südsudan.
"Ebola", sagt sie, "klang für mich nach etwas Speziellem, einer Herausforderung." Und Karin mag Herausforderungen, denn sie weiß, was sie will: Erfahrungen sammeln, die man sonst nirgendwo machen kann zum Beispiel. Dass Angst dabei keine Rolle spielen darf, versteht sich von selbst. Auch nicht vor Ebola. "Aber jede Menge Respekt", sagt Karin am Ende ihres fünfwöchigen Einsatzes im liberianischen Foya, einem von fünf Orten in Westafrika, wo MSF Ebola-Behandlungszentren leitet.
"Kein Risiko gibt es bei einem Ebola-Einsatz nicht", sagt Karin. Die Gefahr lauert überall. "Das war mir bewusst, hat mich aber nicht gehindert. Natürlich habe ich mich mit der Frage Was ist wenn? beschäftigt, aber irgendwann dachte ich, entweder ich mache es oder nicht. Wenn du dich dazu entscheidest, in einem Ebola-Gebiet zu arbeiten, verdrängst du deine Angst, denn wenn du näher darüber nachdenkst, kommst du einfach nicht hierher."
Tatenlos zusehen
Ein paar Bilder hatte die 41-Jährige bereits im Kopf, bevor sie zu ihrem zehnten Einsatz nach Liberia aufbrach. "Mir war klar, dass ich viele Tote sehen werde; und dass ich oftmals nur tatenlos zusehen kann. Aber wie es sich wirklich anfühlt, in einem Astronautenanzug in einem Ebola-Projekt zu arbeiten - das war für mich nicht vorstellbar."
Neben ihrem Beruf als diplomierte Pflegefachfrau ist Karin außerdem auch gelernte Verkäuferin und zertifizierte Masseurin. Nach mehrjähriger MSF-Einsatzerfahrung erfolgte zusätzlich auch noch ein erfolgreich abgeschlossenes Studium als Humanbiologin.
Dass Ebola eine hohe Sterblichkeitsrate aufweist, machte ihren jüngsten Einsatz für Karin auch aus wissenschaftlicher Sicht besonders fesselnd. "Wir wissen viel zu wenig über Ebola - und darum gibt es auch noch keine ordentliche Behandlung", sagt sie. "Bei Ebola ist einfach nichts vorhersehbar, nichts kalkulierbar, wie sich etwa der Zustand der Patienten entwickelt. Manche kommen gut herein und sterben trotzdem; andere kommen sterbenskrank und überleben. Das kann innerhalb kurzer Zeit umschlagen. Wir wissen als medizinisches Personal nicht, was wir tun sollen - außer die Symptome behandeln: Antibiotikum zum Abdecken bakterieller Infektionen, Vitamine zur Stärkung des Patienten, Flüssigkeit bei Durchfall und Erbrechen und Glukose als Nahrungsersatz. Das ist die Standardtherapie nach MSF-Richtlinien, aber diese Erfahrungen basieren auf kleinen Ebola-Ausbrüchen. Mit diesem Ausmaß hatten wir noch nie zu tun."
Eine Chance, die genutzt werden muss, um mehr Forschung zu betreiben, auch innerhalb von "Ärzte ohne Grenzen". "Sollen wir auf noch größere Ausbrüche warten?", fragt Karin. "Für ordentliche Forschung braucht man jede Menge Proben - und die gibt es momentan leider zur Genüge."
Die limitierten Möglichkeiten machten Karin zu schaffen. Als Krankenschwester ist sie es gewohnt, nahe mit dem Personal und am Patienten zu arbeiten, vor allem mit Kindern. Und möglichst viel Zeit mit den Menschen im Krankenhaus zu verbringen. Aber Patienten zu berühren, erlaubt Ebola - wenn überhaupt - nur unter den höchsten Sicherheitsauflagen, wozu vor allem Vollschutzanzüge, PPE (Personal Protection Equipment), gehören.
Bruch der Kultur
"Das ist völlig anders als bei meinen bisherigen Einsätzen", sagt Karin. "Vor allem in Afrika kennt man diese Distanz nicht. Das ist ein Bruch der Kultur - und das kann man nicht von einem Tag auf den anderen ändern. Egal, wie viel Aufklärung wir betreiben, in vielen Haushalten gibt es nach wie vor eine große Schüssel, aus der alle Familienmitglieder gemeinsam essen."
In PPE-Vollschutzanzügen dürfen Mitarbeiter maximal eineinhalb Stunden in der Hochsicherheitszone arbeiten. Ist diese Zeitgrenze überschritten, fühlt man sich stark geschwächt - und das Risiko, Fehler zu begehen, steigt rasant. "In den PPEs fühlt man sich wie in einer Sauna", erzählt Karin. "Mit dem kleinen Unterschied, dass du aus der Sauna hinausspazierst, wenn es dir zu heiß wird. In der Hochsicherheitszone musst du fünfzehn bis zwanzig Minuten hinzufügen, da die Auszieh-Prozedur des Schutzanzuges alleine mindestens zehn Minuten dauert. Wenn du dann noch andere Mitarbeiter vor dir hast, kann es sein, dass du warten musst." Zwei bis drei Mal täglich wiederholen die Mitarbeiter diesen mühseligen Gang.
Da sich das medizinische Personal in dieser kurzen Zeit gleich um mehrere Patienten kümmern muss, kommt es nur bedingt dazu, Beziehungen aufzubauen. "Das ist wahrscheinlich auch besser so", sagt Karin. "Es klingt brutal, aber zwei Drittel der Menschen in den Behandlungszentren sterben. Jede enge Bindung macht die Trennung nachher umso schwerer. In den ersten drei Wochen gab es keine Visite, bei der ich nicht mindestens einen Toten im Hochsicherheitsbereich gefunden habe." Aber auch Karin freundete sich mit einer Patientin an: Lamene, ein achtmonatiges Baby, dessen Mutter nicht darauf aufpassen konnte, da sie selbst an Ebola erkrankt war.
Aufklärungsarbeit sei auch innerhalb von MSF notwendig, findet Karin. "Trotz der PPEs fürchten sich Mitarbeiter noch immer vor den Patienten und haben Hemmungen, sie anzugreifen. "Darum hielten sie Lamene und andere Kleinkinder immer wie eine Bombe weit von sich gestreckt. Auch wenn man es ihnen nicht übel nehmen kann, aber es gibt in Westafrika derzeit wahrscheinlich keinen sicheren Ort, als in einem PPE zu stecken. Da kann dir kaum etwas passieren, im Vergleich zur Außenwelt, wo du nicht weißt, wer möglicherweise infiziert ist."
Karin hingegen schaukelte das Baby in ihren Armen, wann immer sie konnte. Lamene gefiel das und sie schmiegte sich an Karins gelben Astronautenanzug. "Am achten Tag ist Lamene verstorben", schluckt Karin. Das war einer der zwei schwierigsten Momente für sie in Liberia. Der andere war der Besuch am Friedhof.
Besuch des Friedhofs
Zwanzig Autominuten von Foya entfernt haben MSF-Mitarbeiter zwischen saftig grünen Reisfeldern eine Fläche gerodet, auf der momentan 211 Ebola-Gräber liegen - das Areal wird täglich ausgeweitet. Als Karin schweigend durch die Reihen hölzerner Grabkreuze spaziert, nimmt sie das Ausmaß dieser Katastrophe erstmals voll wahr. "Da liegen sie nun", sagt sie mit glasigen Augen. Für einen Moment verschlägt es ihr die Stimme. "Alle zusammen, einer neben dem anderen - und die meisten davon habe ich gekannt, mit Namen und dazugehörigem Gesicht."
Dann kehrt die Verdrängung zurück. "Wenn du hier bist und täglich arbeitest, wirst du irgendwann ein Teil dieses Alltags. Dir ist dann nicht mehr wirklich bewusst, was um dich herum geschieht - und das ist das Schlimme. Darum ist es gut, dass solche Einsätze zeitlich begrenzt sind."
Martin Zinggl, geboren 1983, hat Kultur- und Sozialanthropologie studiert und lebt als Autor und Dokumentarfilmer in Wien und Barcelona. Er war zuletzt als Communications Officer für "MSF" in Foya, Liberia, tätig.