Außenminister Kurz empfindet Australiens Asylpolitik als nachahmungswürdig, das UNHCR als "ungeheuer schädlich".
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Denham, Westaustralien. Ende April zündete sich ein 23-jähriger Iraner im südpazifischen Inselstaat Nauru aus Protest selbst an, er starb. Wenige Tage später tat es ihm eine 21-jährige Somalierin gleich, sie überlebte schwer verletzt. Selbstverstümmelungen, etwa durch das Schlucken von Rasierklingen, seien an der Tagesordnung in den von Australien eröffneten Internierungslagern, der sexuelle Missbrauch von Kindern und massive psychische Probleme der Insassen ebenfalls, sagen Ärzte und Krankenschwestern vor Ort. Ihnen drohen als "Whistleblower" zwei Jahre Gefängnis.
Für Journalisten ist der Zutritt zu Nauru und anderen australischen Internierungslagern für Asylsuchende so gut wie unmöglich. Die australische Regierung steht indes zu ihrer vielfach kritisierten Asylpolitik.
Schützenhilfe für ihre "pazifische Lösung" bekam Canberra nun von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP). Dieser sagte unter anderem der Schweizer Zeitung "NZZ am Sonntag", dass die Europäische Union von Australien lernen könne. Er regte an, Bootsflüchtlinge im Mittelmeer abzufangen und sofort zurückzuschicken oder auf Inseln wie Lesbos zu internieren.
Doch das australische Modell ist äußerst umstritten. Die Lebensumstände dort werden als erbärmlich, die hygienische Lage als sehr schlecht beschrieben. Immer wieder kommt es zu gewalttätigen Zwischenfällen. Häufig müssen die Asylbewerber jahrelang auf die Bearbeitung ihres Antrages warten. Doch die Perspektiven sind schlecht: Selbst nach Anerkennung als Flüchtling verweigert ihnen Australien die Einreise. Die Forscherin Carly Gordyn von der Australian National University in Canberra arbeitete mehrere Monate im Asylzentrum auf Christmas Island, das zu Australien gehört, sowie in dem Lager im unabhängigen Staat Nauru. "Woran ich mich am meisten erinnere, sind die Menschen", sagt sie. "Die Art und Weise, wie ihre Seele jeden Tag ein Stück mehr zusammenschrumpfte. Und die unglaubliche Hitze, das grelle Weiß überall, vom Boden, den weißen Zelten, der Mangel an Grün und Schatten."
Hohe Selbstmordraten
Das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR beschreibt in einer Erklärung nach den Selbstverbrennungen die australische Praxis, als "ohne Zweifel ungeheuer schädlich". Auf hohe Suizidraten in den Asylzentren im Interview angesprochen, lenkte Kurz nur halbherzig ein. "Man kann das Modell sicher nicht eins zu eins übernehmen, aber die Grundprinzipien sollten auch für uns gelten."
Seit 1992 inhaftiert Australien alle, die den Kontinent per Boot und ohne Visum erreichen. Seit 2001 werden die Flüchtlinge in Offshore-Lagern auf der Insel Manus in Papua-Neuguinea sowie auf Nauru interniert. Obwohl Untersuchungen ergaben, dass es sich bei der überwiegenden Mehrheit um legitime Flüchtlinge handelte, wiederholen australische Politiker stets, dass kein Flüchtling, der versuchte, per Boot ins Land zu gelangen, sich je dort niederlassen dürfe.
"Ich denke, der österreichische Außenminister würde seine Meinung ändern, wenn er um die Kosten dieser Politik wüsste - sowohl finanziell als auch menschlich", sagt die Forscherin Gordyn. Es ist ihrer Ansicht nach gefährlich, wenn sich die Diskussion auf die ‚Menschenhändler‘ konzentriere, weil so Flüchtlinge und Asylsuchende mit Verbrechen und verbrecherischen Netzwerken assoziiert würden. Das ‚Geschäftsmodell des Menschenschmuggels‘ zu brechen sei zwar eine Methode, den Zustrom weiterer Menschen zu verhindern, "aber die Art und Weise, wie Australien dies tut, ist auch kriminell und unmenschlich", so Gordyn. Sie appelliert an ihre Regierung, sich stattdessen stärker bei der Finanzierung des Uno-Flüchtlingshilfswerkes zu engagieren.
In diesen Tagen läuft in Australien ein Dokumentarfilm an, der der seit Jahren laufenden Debatte über die Asylpolitik kurz vor den Parlamentswahlen im Juli neuen Schwung geben dürfte. Mit versteckter Kamera gedreht, zeigt die Oscar-prämierte Filmemacherin Eva Orner in "Chasing Asylum", wie die Asylsuchenden im Internierungslager vor sich hin vegetieren. Untertitel: "Der Film, von dem die australische Regierung nicht möchte, dass Sie ihn sehen".