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"Asylzentren in Nordafrika derzeit nicht realistisch"

Von Klaus Huhold

Politik
UNHCR-Sprecherin Ruth Schöffl.
© Wolfgang Voglhuber

Ruth Schöffl, Sprecherin des UN-Flüchtlingshochkommissariats, fordert ein Umdenken in der europäischen Flüchtlingspolitik.


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"Wiener Zeitung": War die jüngste Flüchtlingstragödie im Mittelmeer ein vorhersehbares Unglück, nachdem Italien das Seenotrettungsprogramm "Mare Nostrum" auslaufen ließ, weil Rom von der EU keine Unterstützung bekam?Ruth Schöffl: Wir vom UNHCR waren immer sehr besorgt, dass sinkende Schiffe nicht gerettet werden können, weil einfach die Kapazitäten fehlen. Nun sind wir extrem schockiert, dass so viele Menschen sterben mussten. Es braucht ein Umdenken, es kann nicht sein, dass Menschen vor Europas Küsten ertrinken. Der EU muss es doch möglich sein, ein Rettungsprogramm auf die Beine zu stellen, um das Mittelmeer abzusuchen.

Dem halten manche Politiker entgegen, dass derartige Rettungsaktionen eine Einladung an Schlepper seien, Flüchtlinge am Meer auszusetzen.

Man darf freilich nicht blauäugig sein. Aber blicken wir auf die nackten Zahlen: 2014 gab es "Mare Nostrum" und damals haben weniger Flüchtlinge die Überfahrt gewagt als in diesem Jahr, in dem schon so viele Menschen ertrunken sind. Zudem lassen sich Flüchtlingsströme nicht steuern, auch nicht durch Schlepper, im Moment sind einfach wegen der vielen internationalen Krisen viele Menschen auf der Flucht. Außerdem klingt es für mich sehr traurig und zynisch, wenn wir sagen, dass wir Schleppern nicht in die Hände spielen, und dafür Menschen ertrinken lassen.

Ein Vorschlag, der ja auch von der österreichischen Politik, etwa von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Außenminister Sebastian Kurz, ventiliert wird, lautet, in Nordafrika Asylzentren einzurichten. Das UNHCR soll diese leiten. Wie realistisch ist das?

Grundsätzlich sollte jeder Vorschlag, der Leben retten kann, diskutiert werden. Im Moment scheinen diese Asylzentren aber in absehbarer Zeit nicht realistisch. Die meisten Flüchtlinge fahren nämlich aus Libyen ab, das in einer schweren politischen Krise steckt. Zudem gibt es bei diesen Asylzentren noch ganz viele Variablen: Geht es darum, in den nordafrikanischen Ländern das Asylsystem zu verbessern und Flüchtlingen zu ermöglichen, dort um Asyl anzusuchen? Geht es darum, ein Programm aufzubauen, dass es den Asylwerbern ermöglicht, nach Europa zu kommen? Was sagen die nordafrikanischen Länder, die involviert sind? Diese Fragen lassen sich nicht von heute auf morgen beantworten.

Wie könnte das Massensterben im Mittelmeer nun verhindert werden?

Es gibt kein Allheilmittel, aber ein Bündel von Maßnahmen könnte helfen. Kurzfristig bräuchte es eine stabile Seenotrettung. Dann appelliert UNHCR, dass Möglichkeiten geschaffen werden, legal nach Europa einzureisen. Es könnte verstärkt Resettlement-Programme für schutzbedürftige Flüchtlinge geben, etwa für Syrer, die es schon in die Nachbarländer geschafft haben. Europa könnte auch humanitäre Visa ausstellen. Zudem bräuchte es Unterstützung für die Länder, die Flüchtlingskrisen abfangen und abfedern, etwa Syriens Nachbarländer, die schon hunderttausende Menschen aufgenommen haben. Es gibt viele schnell umsetzbare Maßnahmen, die verhindern könnten, dass sich die Leute überhaupt auf den Weg nach Nordafrika machen.