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Atempause für Djindjic, neue Hoffnungen für Seselj

Von Breda Ozim

Politik

Belgrad - Zu geringe Beteiligung an den Stichwahlen um das serbische Präsidentenamt samt Wiederholung: Die politischen Parteien der einstigen Demokratischen Opposition Serbiens (DOS) haben sich am Sonntag ein klassisches Eigentor geschossen. Die jüngste Entwicklung dürfte kurzfristig zwar der Regierung von Ministerpräsident Zoran Djindjic eine Atempause verschaffen, zur Stabilisierung der politischen Verhältnisse in Serbien wird sie aber sicher nicht beitragen.


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Zwar wird allerorten beteuert, dass die Reform- und Demokratisierungsprozesse mit Erfolg weiter geführt werden. Ob dies tatsächlich möglich ist, steht freilich in den Sternen.

Die tiefe Kluft zwischen dem Wahlsieger Vojislaw Kostunica, der am Sonntag an sich 66,6 Prozent der Stimmen bekommen hat, und seinem langjährigen Rivalen, Ministerpräsident Djindjic, hat sich noch vertieft. Auch der Machtkampf wird sich wohl noch intensivieren. "Die falschen Reformfedern vom Djindjic-Regime fallen ab", erklärte der jugoslawische Präsident und lastete die Hauptschuld für den Misserfolg der Stichwahl dem Kabinett seines langjährigen Hauptrivalen an.

DSS sollte auch vor der eigenen Tür kehren

Die Kritik von Kostunica mag begründet sein. Djindjic und seine Demokratische Partei (DS) waren ganz offensichtlich nicht besonders am Erfolg ihres Präsidentschaftskandidaten Miroljub Labus interessiert, der im zweiten Durchgang nur auf 31 Prozent kam. Dennoch sollte die Demokratische Partei Serbiens (DSS) auch ein bisschen vor der eigenen Tür kehren.

Mit Dragan Marsicanin hatte ein führender Vertreter der DSS gut ein Jahr lang das serbische Parlament geleitet, ohne die Initiative im Bereich der Wahlgesetze oder der Wählerverzeichnisse zu ergreifen.

Entwürfe für neue Wahlgesetze

Das Belgrader Zentrum für freie Wahlen und Demokratie (CeSID) hatte nach Worten seines Mitarbeiters Marko Blagojevic den DOS-Parteien schon vor geraumer Zeit die Entwürfe eines neuen Präsidenten- und Abgeordnetenwahlgesetzes präsentiert. Die Reaktion der Machthaber war jedoch ausgeblieben. Die politischen Parteien aus dem demokratischen Lager müssen nun entscheiden, ob sie die Präsidentschaftswahlen gleich wiederholen wollen oder aber damit lieber die Abänderung des Wahlgesetzes und vielleicht auch der Verfassung abwarten.

Es gibt bereits Anzeichen, dass die Standpunkte der größten Rivalen - der DSS und der DS - erneut divergieren. Während Kostunica mit der "Internationalisierung" der strittigen Wahlgesetzfrage droht, hat der DS-Politiker Cedomir Jovanovic die neuerliche Ausschreibung der gesamten Wahl bereits für diese Woche angekündigt.

Eine neuerliche Stichwahl ist nicht erlaubt. Laut dem umstrittenen Gesetz, das noch aus der Ära von Slobodan Milosevic stammt, soll die Präsidentschaftswahl spätestens 30 Tage vor dem Ablauf der Amtszeit des aktuellen Präsidenten Milan Milutinovic stattfinden. Die letzte Möglichkeit wäre also der 5. Dezember. Die Wahl ist 45 Tage zuvor auszuschreiben.

In der Zwischenzeit kann Djincic weiter regieren

Die Partei von Djindjic hat wohl aus Interesse des eigenen Machterhaltes Interesse daran, dass die Vorschriften eingehalten werden. Sollte die Wahl neuerlich scheitern, muss sie wiederholt werden. In der Zwischenzeit kann Djindjic im Schatten des tobenden Wahlkampfes seine Regierungsgeschäfte ungehindert weiter führen. Kommt es allerdings zu einer politischen Einigung, stehen sicherlich auch die vorgezogenen Parlamentswahlen im Hause. Das würde die Machtverhältnisse entscheidend verändern, zumal die DSS zuletzt dank eines Djindjic-Coups aus dem Parlament ausgeschlossen war.

Parteifreunde übten sich in "stummem Boykott"

Während Kostunica bereits eine neuerliche Kandidatur in Aussicht gestellt hat, um sein Ziel - die rechtliche und verfassungsmäßige Umbildung der Republik umzusetzen -, scheint Labus nicht in diesem Maße entschlossen zu sein. Der jugoslawische Vizeministerpräsident musste vor der Stichwahl zur Kenntnis nehmen, dass sich die Parteifreunde aus der Demokratischen Partei im "stummen Boykott" übten. Die zwei regierungstreuen privaten TV-Sender, "BK" und "Pink", hatten es in den vergangenen Tagen gar abgelehnt, Wahlwerbung zu veröffentlichen.

Politische Analytiker verweisen indes daraufhin, dass die politischen Parteien aus dem demokratischen Lager trotz tiefer Rivalitäten in Bälde gezwungen sein dürften, erneut die Präsidentschaftskandidatur von Kostunica zu unterstützen, um ein weiteres Vorpreschen des Ultranationalisten Vojislav Seselj zu verhindern. Seselj hat bereits klargemacht, dass er neuerlich antritt. Ein Erstarken Seseljs könnt nicht ganz ungefährlich sein. Die Parolen des Führers der Serbischen Radikalen Partei (SRS) finden in Serbien noch immer einen guten Nährboden.

Das zeigten auch die Wahlergebnisse vom 29. September, als Seselj 21 Prozent der Stimmen eroberte. Und die erneute Festigung nationalistischer Parteien in Nachbarstaaten wie Bosnien-Herzegowina sollte den selbstverliebten serbischen Demokraten eine ernste Warnung sein.