Die Verhandlungen stehen still, Athen läuft die Zeit davon. Ökonomen warnen vor unkalkulierbaren Folgen eines Euro-Austritts.
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Berlin/Brüssel/Washington. (reu) Die Griechenland-Krise schwebte wie ein Damoklesschwert über der am Sonntag zu Ende gehenden Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF). Denn noch nie stand das Euro-Land so nahe am Bankrott. Zwar sprach sich Finanzminister Yanis Varoufakis am Freitag in Washington für einen Verbleib seines Landes in der Euro-Zone aus. Doch hinter den Kulissen laufen längst Überlegungen, wie sich der Ernstfall, dass den Griechen tatsächlich das Geld ausgeht und sie ihre Staatsschulden nicht mehr bedienen können, einigermaßen managen ließe. Bereits im März räumte EZB-Präsident Mario Draghi ein, dass die Risikoanalysten der Europäischen Zentralbank die verschiedensten Szenarien durchspielten. Für die Griechen hätte ein "default" verheerende Folgen, für die Euro-Zone insgesamt wären die kurzfristigen Auswirkungen wohl begrenzt. Auf lange Sicht droht aber auch ihr ein enormer politischer und ökonomischer Schaden.
Tragödie und Komödie
Der griechische Premier Alexis Tsipras sagte diese Woche, er erwarte eine Lösung des Schuldenstreits bis Ende April, es habe bemerkenswerte Fortschritte gegeben. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble sieht das anders: "Niemand hat eine Idee, wie wir uns über ein ambitionierteres Programm einigen sollten." Niemand erwarte eine Einigung beim Euro-Finanzministertreffen nächste Woche in Riga, meinte er zeitgleich in New York. Viel weiter kann man kaum auseinander liegen.
Grund dafür ist nicht allein der politische Poker um die künftigen Reformauflagen für weitere Milliardenhilfen. Nach den zahllosen Gesprächsrunden beklagen etliche Verhandlungspartner, die neue Regierung in Athen agiere dilettantisch. So sei nicht einmal klar, wer dort überhaupt etwas zu entscheiden habe. IWF-Chefin Christine Lagarde appellierte, das Tempo der Verhandlungen anzuziehen. VaroufakisErsuchen um Aufschub bei der Schuldenrückzahlung - im Mai und Juni sind knapp 2,5 Milliarden Euro fällig - erteilte sie eine deutliche Absage.
Wann die Kassen leer sind, weiß niemand genau - die Regierung lässt die Vertreter der Gläubiger-Institutionen EU-Kommission, EZB und IWF ("Troika") noch immer nicht in die Bücher schauen. Der Chef des Euro-Rettungsschirms ESM, Klaus Regling, warnte aber kürzlich, der Liquiditätspuffer der Griechen sei mittlerweile "sehr sehr klein". Feststeht, dass sie alleine an die EZB im Juli und August über 6,7 Milliarden Euro zahlen müssen. Hinzu kommen Rückzahlungen von insgesamt gut acht Milliarden Euro an den IWF in diesem Jahr und Leistungen an private Gläubiger.
Für das Land, das seit 2010 vom Kapitalmarkt abgeschnitten ist und bereits mit 240 Milliarden Euro gestützt wird, ist das alleine nicht zu stemmen. Weil das zweite Hilfspaket Ende Juni ausläuft, ist außerdem unklar, wie es danach weitergehen soll. Noch wurschtelt sich die Regierung finanziell durch, etwa durch beherzte Griffe in die Sozialkassen.
Ende der Notkredite
Doch sollte das Geld ausgehen, bevor eine Einigung mit den Geldgebern erreicht ist, droht ein düsteres Szenario: Die Ratingagenturen würden die griechischen Staatspapiere auf den Status "default" (Verzug) setzen. Damit wären sie praktisch wertlos. In der Folge würden die Bilanzen der griechischen Banken kollabieren. Weil sie nicht mehr liquide wären und auch keine Sicherheiten mehr hinterlegen könnten, könnten sie sich auch bei der griechischen Notenbank keine Nothilfen (ELA) mehr besorgen, die die EZB bisher genehmigte. Griechenland würde in eine humanitäre Katastrophe schlittern.
Kapitalkontrollen nötig
Damit die Banken nicht gestürmt und die restlichen Euro ins Ausland gebracht würden, müsste die griechische Regierung Kapitalverkehrskontrollen erlassen. Auch könnte sie gezwungen sein, Schuldscheine auszugeben, mit denen Unternehmen und Privatleute untereinander Rechnungen begleichen könnten. Das wäre dann faktisch eine Parallelwährung und der erste Schritt aus dem Euro. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, warnt jedenfalls vor der Illusion eines gesteuerten "Grexit": "Das lässt sich nicht kontrollieren."
Die Staatspleite in Athen muss allerdings keine verheerenden Dominoeffekte im Rest der Euro-Zone auslösen. Es gebe Indizien, dass anders als 2012 die Risikoaufschläge von Staatsanleihen anderer Euro-Sorgenländer wie Spanien, Portugal, Zypern und Irland nicht sofort nach oben schießen würden, meinen Experten. Dafür spricht, dass der Euro-Stabilisierungsfonds ESM bereitsteht. Außerdem sind dank der milliardenschweren Anleihekäufe der EZB die Anleihen der Wackelkandidaten bisher nicht in den Sog der Griechenland-Krise geraten. "Es gibt keine Ansteckung", ist auch Schäuble überzeugt.
Griechische Papiere werfen die Anleger jedenfalls schon jetzt in hohem Bogen aus den Depots. Die Rendite der zehnjährigen Bonds stieg diese Woche zeitweise auf über 13 Prozent. Eine Rückkehr an den Kapitalmarkt ist damit aber ausgeschlossen.
Mittel- und langfristig wären die wirtschaftlichen und politischen Kosten eines "Grexit" jedenfalls mit Sicherheit enorm. Den finanziellen Folgen einer rapiden Verarmung des Landes könnte sich der Rest der EU nicht entziehen. Das Land müsste massive Hilfen aus EU-Töpfen bekommen. Hinzu kommt die Belastung der Geldgeber. Berlin etwa bürgt für Kredite von über 50 Milliarden Euro. Einen Großteil davon müsste es bei einer Pleite in Athen wohl abschreiben.
Kein Entrinnen
Mit einem "Grexit" wäre das griechische Problem außerdem nicht gelöst. Um sich in Zukunft zu finanzieren, wäre zunächst eine Umschuldung über den "Pariser Club" denkbar - ein informelles Gremium, in dem staatliche Gläubiger über Schuldenerlasse beraten. Eine Schlüsselrolle dabei hätte der IWF, denn Hilfe wird auch im Pariser Club nur gewährt, wenn IWF-Programme erfolgreich umgesetzt werden. Das aber bedeutet Reformen - Griechenland wäre also keinen Schritt weiter als heute, aber um einiges ärmer.