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Atome tanzen aus der Reihe

Von Eva Stanzl

Wissen
Grenzübertritt in die Quantenwelt: Ein Bose-Einstein-Kondensat fällt nach unten, expandiert dabei und wird in einer dünnen Schicht aus Licht vermessen. Grafik: TU Wien
© © Thomas Betz.

Hochpräzise Zeitmessung und bessere Navigationsgeräte möglich.


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Wien. Was der Laserstrahl für Licht ist, ist das Bose-Einstein-Kondensat für Materie: In beiden Zuständen fließen Teilchen geordnet und gleichförmig, wodurch sie von hohem technischen Nutzen sein können. Nun zeigt sich jedoch, die Materie ist aufmüpfig. Wissenschafter des Atominstituts der Technischen Universität (TU) Wien haben beobachtet, wie Materie-Wellen beginnen, im Gleichklang zu schwingen, und dass dabei ein paar "Störenfriede" unter den Atomen deren Wellenbewegung unterbrechen.

Für das Experiment hat das Team um Jörg Schmiedmayer, Vorstand des Atominstituts der TU und Wittgenstein-Preisträger 2006, Rubidium-Atome auf weniger als ein Millionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt von minus 273,15 Grad heruntergekühlt.

Störenfriede brechen Welle

In einem gewöhnlichen Atom-Gas haben alle Teilchen unterschiedliche Geschwindigkeiten und befinden sich an verschiedenen Orten. Quantenphysikalisch gesehen könnte man sie durch unterschiedliche Quanten-Wellen beschreiben. Knapp über dem absoluten Nullpunkt gehen die Teilchen (Bosonen) jedoch in einen besonderen Zustand über: Je niedriger die Temperatur, desto dichter rücken sie zusammen. Das Ergebnis ist ein Bose-Einstein-Kondensat (BEC). Darin nehmen fast alle Teilchen denselben Quanten-Zustand mit der geringstmöglichen Energie ein. In dem Bose-Einstein-Kondensat schwingen somit alle Quanten-Wellen der Materie im Gleichklang in einer einzigen großen Quantenwelle, in der die einzelnen Atome ihre Individualität verlieren - ähnlich wie die Lichtteilchen in einem Laser. Wie die Wiener Wissenschafter zeigen konnten, tanzen im Unterschied zu Lichtwellen bei Materie-Wellen aber selbst bei Niedrigst-Temperaturen ein paar Atome aus der Reihe.

Ihre Messungen am BEC sind mit dem "Hanbury-Brown-Twiss-Experiment" verwandt, mit dem vor rund 50 Jahren die Quanteneigenschaften von Licht untersucht wurden. In diesem Experiment wird ein mathematischer Zusammenhang zwischen den Aufenthaltsorten der Teilchen untersucht, die Korrelationsfunktion: "In einer perfekten Welle ist die Wahrscheinlichkeit, ein Teilchen zu sehen, zu jedem Zeitpunkt genau gleich", erklärt Schmiedmayer.

Doch wozu das Ganze? "Atome in ihrem Quantenzustand zu messen ist nicht etwas, wovon wir im Alltag Gebrauch machen", räumt der Physiker ein: "Allerdings hat man das früher vom Quantenzustand des Lichts auch angenommen. In den 1960er Jahren hieß es: Laser-Forschung ist die teuerste und unnötigste Wissenschaft. Aber ohne Laser gäbe es heute kein schnelles Internet, keine CD- und DVD-Spieler und keine sichere Informationsverarbeitung im Auto."

Die Sonne produziert thermisches Licht. Beim Laser dagegen ist das Licht geordnet. Es schwingt immer im Gleichtakt, wodurch es für technische Geräte einsatzfähig wird. Was der Laser für Licht ist, ist das BEC für Materialwellen: Auch die Bosonen schwingen im Takt und es bildet sich eine kohärente Materie-Welle, ein idealer Ausgangspunkt für zukünftige Anwendungen.

Allerdings sind in einem Bose-Einstein-Kondensat nicht alle Atome im tiefsten Energiezustand, sondern ein paar Ausreißer gibt es immer. Diese Bosonen haben ein wenig mehr Energie als der große Rest und sind somit "Störenfriede" in den Materialwellen. Sie überlagern sich mit dem BEC und erzeugen somit zusätzliches Rauschen. Selbst bei 50 Milliardstel Grad über dem absoluten Nullpunkt war dieser Effekt noch zu sehen. Nun wollen die Forscher die Störenfriede entfernen. "Mit einer perfekten Materiewelle könnte man hochpräzise Messgeräte bauen und die Zeitmessung verbessern", sagt Schmiedmayer. Was zu besseren GPS-Navigationsgeräten führen würde. Und: "Auch viele Probleme der Quantenphysik sind selbst mit den schnellsten Rechnern nicht lösbar. BEC kann uns helfen, darüber durch Quantensimulation Einsicht zu bekommen."