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Atomgespräche gehen in die Verlängerung

Von Arian Faal

Politik

USA: Genug Fortschritte erzielt - Politische Rahmenvereinbarung mit dem Iran hat weitreichende Auswirkungen.


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Lausanne/Teheran. Die Atomgespräche mit dem Iran gehen in die Verlängerung. Es seien genügend Fortschritte erzielt worden, um eine Fortsetzung bis Mittwoch zu rechtfertigen, sagte US-Außenministeriumssprecherin Marie Harf am Dienstagabend wenige Stunden vor dem Ablauf der ursprünglich gesetzten Frist in Lausanne. Es gebe jedoch weiterhin "mehrere schwierige Themen".

Sieben Außenminister, hunderte Journalisten und das bange Warten auf ein Ergebnis. Mehr als dreißig Stunden wurde in den vergangenen Tagen in Lausanne verhandelt. Mit der Deadline am Mittwoch um Mitternacht im Nacken, bemühten sich die fünf UN-Vetomächte plus Deutschland mit dem Iran um eine Einigung in der Schweiz. Der Rahmen für das Papier im Atomstreit war klar definiert: Der Iran liefert transparente und überprüfbare Garantien, dass sein Nuklearprogramm ausschließlich friedlichen Zwecken dient. Im Gegenzug suspendiert der Westen schrittweise die schmerzhaften Wirtschaftssanktionen gegen Teheran. Drei Streitpunkte gab es am Dienstagabend noch: die Dauer des Abkommens, die Aufhebung der UN-Sanktionen sowie deren Wiedereinsetzung, falls sich der Iran nicht an die Abmachung hält. Nach der Rahmenvereinbarung sollen die technischen Details dann bis Ende Juni stehen.

Zwar wurden laut dem iranischen Außenminister Mohammad Javad Zarif viele "substanzielle Fortschritte" erzielt, doch am Ende stand alles auf Messers Schneide. US-Außenminister John Kerry brachte die Anspannung auf den Punkt: "Jeder hier weiß, wie wichtig der letzte Tag ist", so Kerry.

Er deutete damit die Bedeutung des Ausgangs des Gesprächsmarathons an. Es geht um viel mehr als nur um einen Atom-Deal im zwölf Jahre andauernden Konflikt rund um die iranische Urananreicherung. Denn ein politischer Rahmen-Konsens hat weitreichende Konsequenzen für die gesamte Region, aber auch für den Iran selbst. Zunächst einmal wird es im Falle einer Einigung harsche Reaktionen der Hardliner im republikanisch dominierten US-Kongress und im von ultrakonservativen Kräften dominierten Majles (iranisches Parlament) geben. Beide stehen einem Deal sehr skeptisch gegenüber. Daher müsste dieser sorgfältig im eigenen Land, also im Iran und in den USA, "verkauft" werden. Eine große Diskussion bis hin zu Drohungen, den Deal zu torpedieren, ist zu erwarten. Genauso wie die Hardliner schlägt Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Alarm. Er will im Falle einer Einigung alles unternehmen, um den Deal mit den Hardlinern in Washington zu konterkarieren. Auch ein israelischer Militärschlag auf iranische Atomanlagen steht im Raum.

Einen starken Mitstreiter in den Reihen der Deal-Skeptiker findet Netanjahu in der Person des saudischen Königs Salman. Denn ein Konsens hätte auch Einfluss auf das Kräftemessen zwischen Riad und Teheran. Der Iran würde einen weiteren Schritt in Richtung Vorherrschaft in der Region unternehmen. Das sunnitische Königshaus in Saudi-Arabien müsste den sich immer weiter ausbreitenden schiitischen Halbmond unter der Federführung des Iran fürchten. Eine Annäherung Teherans an Washington stützt diese Furcht, die dazu geführt hat, dass Saudi-Arabien mittlerweile zum größten Waffenimporteur der Welt aufgestiegen ist und nun auch militärisch gegen die schiitischen, von Teheran unterstützten Houthi-Rebellen im Jemen eingegriffen hat.

Gemeinsam mit den Saudis fürchten auch die Riad nahestehenden sunnitischen Golfmonarchien wie Kuwait, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar eine Stärkung des Iran im Nahen und Mittleren Osten. Denn Teheran hat ohnehin schon in Syrien, im Irak, im Libanon, im Jemen und in Bahrain seine Fühler ausgestreckt. Die Schiiten in der Region würden einen deutlichen Auftrieb erhalten. Der Iran könnte dann noch weiter seine Beziehungen zum Oman und zur Türkei ausbauen, was einen weiteren Machtverlust für die sunnitischen Monarchien am Persischen Golf bedeuten würde.

Doch der Iran würde nicht nur auf politischer Ebene seine Vormachtstellung ausbauen, sondern sich auch wieder zu einem wirtschaftlichen Schwergewicht entwickeln. Denn das Öl- und Gasembargo der EU ist einer der großen Sanktionsbrocken, deren Aufhebung die Achillesferse der iranischen Wirtschaft, den Ölexport, wieder aufatmen lassen würde.

Eine Rückkehr des Iran als Ölexporteur ist allerdings Saudi-Arabien als Opec-Macht ein Dorn im Auge. Denn dadurch würde sich das ohnehin bestehende Überangebot auf dem Weltmarkt weiter erhöhen und die Preise würden noch mehr abstürzen.

Doch Riad und Jerusalem fürchten auch die diplomatischen Folgewirkungen eines Deals mit den Persern. Ein historischer Deal bedeutet auch automatisch eine Verbesserung der Beziehungen des Iran zum Westen. Der ohnehin schon pro-westliche Kurs des als moderat geltenden Präsidenten Hassan Rohani würde noch stärker forciert werden und Teheran endgültig aus der Isolation katapultieren: Eine Annäherung an die USA, mit denen der Iran seit 35 Jahren keine diplomatischen Beziehungen pflegt, ist dann greifbar nahe, auch eine Wiedereröffnung der Botschaften ist möglich. Ebenso könnte London seine Distanzpolitik zum Gottesstaat beenden: Seit 2011 gab es zwischen Teheran und London Verstimmungen. Die Situation eskalierte, als die Briten als Erste die iranische Zentralbank sanktionierten, worauf iranische Basij-Milizen die britische Botschaft in Teheran attackierten. Seit Rohanis Amtsantritt versuchen beide Seiten, die Wogen zu glätten. Hier sollen bereits heuer wieder Vertretungen öffnen und Botschafter entsandt werden.

Abgesehen von den internationalen Auswirkungen gibt es auch direkte Folgen für den Iran selbst: Ein Ende der Sanktionen würde erstmals seit 2009 eine Verbesserung des sanktionsgebeutelten Alltags der Perser bedeuten. "Wir wollen endlich wieder ein leistbares Leben führen und Fleisch essen, wann wir wollen. Zudem möchten wir uns die demütigen Blicke ersparen, wenn man bei einer Passkontrolle seinen iranischen Pass herzeigt", meint Behnam F. zur "Wiener Zeitung". Die Mehrheit der Bevölkerung, die westlich orientiert ist, wünscht sich zudem Markenartikel aus dem Westen statt der als minderwertig geltenden Billigprodukte aus China. Derzeit fungieren Dubai und die Türkei als Schlupflöcher, um sanktionierte Güter in den Iran zu transportieren.

Innenpolitisch würde Rohani nach einem Deal weitere Unterstützung von Irans Oberstem Führer, Ayatollah Ali Khamenei, der in allen Belangen das letzte Wort hat, erhalten. Das würde auch die Position der moderaten Kräfte für die Parlaments- und Expertenratswahlen 2016 deutlich stärken und wäre ein herber Rückschlag für die Hardliner. Bei der Debatte um die Nachfolge Khameneis würde ein Deal das Lager des einflussreichen Ex-Präsidenten Akbar Hashemi-Rafsanjani stärken.

Letztlich nicht zu vergessen sind die Auswirkungen auf Österreich. Firmen könnten wieder Geschäfte im Iran machen. Bundespräsident Heinz Fischer will mit einer großen Wirtschaftsdelegation als erstes EU-Staatsoberhaupt seit 2005 den Iran besuchen und die bilateralen Beziehungen forcieren.

Chronologie

  • 2002 deckt Irans Exil-Opposition "Volksmujaheddin" die Existenz der Urananreicherungsanlage Natanz und Arbeiten am Bau eines Schwerwasser-Reaktors zur Plutoniumerzeugung in Arak auf. Spekulationen um geheimes Atomprogramm des Iran beginnen.

  • Oktober 2003: Einigungsschritt zwischen der EU und Teheran: Iran akzeptiert Anwendung des Zusatzprotokolls zum NPT (Atomwaffensperrvertrag). Dieses erlaubt der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) unangemeldete Inspektionen.

  • November 2004:Iran setzt unter Präsident Mohammad Khatami die Urananreicherung kurzfristig aus.

  • August 2005: Der Hardliner

  • Mahmoud Ahmadinejad beginnt eine "No-fear-Politik. Die Atomanlage Isfahan, die teilweise abgeschaltet war, geht wieder voll in Betrieb.

  • 2006: IAEA übergibt den Atomstreit an UN-Sicherheitsrat. Der Iran nimmt Urananreicherung wieder auf. Die UNO verhängt erste Sanktionen. Bis 2012 folgen drei weitere UN-Resolutionen.

  • 7. Februar 2010: Teheran verkündet, man habe niedrig angereichertes Uran auf 20 Prozent gebracht, sei in der Lage, es auf 80 Prozent anzureichern und erklärt sich zur Atommacht.

  • 22. Jänner 2011: In Istanbul werden die Gespräche zwischen dem Iran und der 5+1-Gruppe und dem Iran auf unbestimmte Zeit vertagt.

  • 2012: Die EU beschließt ein Öl- und Gasembargo gegen Teheran; Irans Ölexporte schrumpfen um ein Drittel. US-Präsident Barack Obama lässt Eigentum und Vermögenswerte des Iran in den USA blockieren. Irans Großbanken werden sanktioniert. Israel droht mehrmals mit einem Militärschlag gegen den Iran. Neue IAEA-Resolution gegen Iran: Forderung nach Zugang zur Anlage in Parchin.

  • 2013:Nach mehreren Monaten Unterbrechung werden Verhandlungen in Almaty ohne Ergebnis fortgesetzt.In seiner ersten UN-Rede versichert Irans neuer Präsident Rohani, er sei zu "fristgebundenen und ergebnisorientierten Atom-Verhandlungen" bereit. US-Präsident Barack Obama telefoniert mit Rohani. Dies ist der erste direkte Kontakt auf dieser Ebene zwischen beiden Ländern seit 1979.

  • 20. November: Interimsabkommen in Genf: Der Iran muss sein Atomprogramm zunächst für sechs Monate auf Eis legen. Dafür sollen die Sanktionen gelockert werden.

  • 20. Jänner 2014: Der Interims-Deal tritt in Kraft. Die EU-Außenminister beschließen Sanktionslockerungen. Die IAEA bestätigt zuvor, dass Teheran seinen Teil der Interimsvereinbarung vom November einhält.

  • Februar bis Juli 2014: Sechs Verhandlungsrunden in Wien. Bei der UN-Vollversammlung gibt es neue Verhandlungen. Treffen in Maskat und Wien folgen. Im November wird die Deadline für ein politisches Rahmenabkommen bis 31. März 2015 verlängert; bis Juli 2015 soll es dann eine endgültige Lösung geben.

  • März 2015: Entscheidende Verhandlungen in Lausanne. Alle Beteiligten sprechen von "substanziellen Fortschritten in den Gesprächen, aber auch noch von Differenzen". Die Deadline soll möglicherweise über den 31. März hinaus verlängert werden.