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Atomkraft-Front formiert sich

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Rettung des Verfassungsvertrags als Nebenschauplatz. | Verband für erneuerbare Energien: "Irreführende Debatte". | Brüssel. Die Zeichen stehen beim heute, Donnerstag, beginnenden Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs immer deutlicher auf Kernkraftdiskussion. Die deutsche Bundeskanzlerin und derzeitige EU-Vorsitzende Angela Merkel will neben der Klima- und Energiedebatte indes ein weiteres heißes Eisen anfassen: die Berliner Erklärung zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Gründungsverträge der Union. Sie soll ein erster Schritt bei der Rettung des Verfassungsvertrags sein.


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Beim Abendessen will Merkel ausloten, welche Elemente diese Erklärung, die "kurz und verständlich" werden soll, enthalten müsste. Sicher werde "kein Wortkrieg" um die Erwähnung der Verfassung geführt, sagte ein hoher deutscher Regierungsbeamter. Denn zumindest Polen und Großbritannien sähen das nicht gerne. Umstritten ist auch, ob und in welcher Form etwa der Euro und die Erweiterung als große Errungenschaften der EU gepriesen werden sollen.

Im Vorfeld des Gipfels formierte sich schon einmal die Atomkraftfront. So plädieren zumindest auch Tschechien und die Slowakei für eine breite Kernkraftdebatte in Europa und wollen neben weiteren Ländern entsprechend einem französischen Vorschlag nur ein "verbindliches" Ziel von 20 Prozent erneuerbaren Energiequellen bis 2020 akzeptieren, wenn die Nuklearenergie in die Gipfelbeschlüsse einfließt.

"Zurück in die Realität"

Die Atomkraft sei "salonfähig" geworden und habe wenig CO 2 -Ausstoß, argumentiert Tschechien. Die Engpässe in der Energieversorgung und die Schwierigkeiten bei der Einhaltung der Kyoto-Ziele hätten die EU "zurück in die Realität geworfen". Eine umfassende Atomkraft-Diskussion - auch über Themen wie Sicherheit und Endlagerung - sei unausweichlich. "Wir werden erfolgreich sein - wenn nicht diesmal, dann dass nächste Mal", sagte ein tschechischer Diplomat. Und die slowakische Regierung hat bereits einen Brief an Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso geschrieben, in dem sich das Land als Heimat eines neuen "Europäischen Atomkraftforums" anbietet. Auch Prag stehe als Gastgeber bereit, hieß es. Dabei seien auch Gegner und Kritiker der Kernenergie beim konstruktiven Gespräch willkommen. Österreich jedoch lehnt eine Nukleardiskussion am EU-Gipfel als "nicht zielführend" ab.

Über die völlig "irreführende" Debatte über verbindliche oder nicht verbindliche Ziele ärgert sich unterdessen der politische Direktor des europäischen Dachverbands für erneuerbare Energien EREC (European Renewable Energy Council). Darüber würden dringend notwendige "konkrete Maßnahmen ausgeblendet", sagte Oliver Schäfer zur "Wiener Zeitung". Die Kommission habe selbst festgestellt, dass schon bisherige Ziele nicht erreicht werden könnten, weil die erneuerbaren Energie bei der Wärmeerzeugung stark unterrepräsentiert sei. Eine entsprechende EU-Richtlinie wäre "der logische Schluss". Denn bei Strom und Treibstoff, die auf EU-Ebene geregelt sind, sei man auf Linie.