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Atomkraft in Westeuropa auf dem Prüfstand

Von Mark John

Politik

Bonn · Nicht nur in Deutschland, sondern fast in ganz Westeuropa steht die Atomkraft inzwischen auf dem Prüfstand. In Regierungen mehrerer Länder wird mehr oder minder offen über einen Ausstieg | nachgedacht oder wurden zumindest Ausbaupläne auf Eis gelegt. Die 40jährige Geschichte der Atomenergie in Europa könnte ihrem Ende zugehen. Ein schneller Ausstieg ist aber nirgendwo in Sicht.


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Die Atomlobby ihrerseits setzt darauf, daß sich die Kritiker nur im Zwischenhoch befinden und es im nächsten Jahrtausend ausgerechnet auch aus Umweltschutzgründen einen Stimmungsumschwung

zugunsten der Kernenergie gibt.

Danach sieht es im Moment aber noch nicht aus. Schweden entschloß sich schon nach einem Referendum 1980 im Prinzip für einen Ausstieg.

Zwei Jahre zuvor hatten die Österreicher die Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf in einer Volksabstimmung abgelehnt.

Auch in Belgien, wo die Autobahnen mit Atomstrom so hell beleuchtet werden, daß man sie sogar vom All aus erkennen kann, hat nach der jüngsten Parlamentswahl eine Ausstiegsdebatte begonnen. Der Plan

sieht vor, die ersten drei Kraftwerke im Jahr 2014 abzuschalten, die übrigen vier im Jahr 2025.

Selbst im atomfreundlichen Frankreich, das 75 Prozent seines Energiebedarfs aus Nuklearanlagen bezieht, brachten die Grünen eine Atomdebatte in Gang. Mit ihrer Forderung nach einem Ausstieg aus der

Nutzung der Atomkraft stieß die grüne Umweltministerin Dominique Voynet bei der französischen Linkskoalition allerdings auf Granit. Ein Zurück zu Öllampen werde es nicht geben, konterte der Chef der

Kommunistischen Partei, Robert Hue, solche Ideen. Frankreichs Grüne machen sich denn auch wenig Hoffnung, daß die heimischen AKWs gegen den Widerstand der starken Atomlobby alsbald vom Netz gehen

könnten. Denkbar wäre aber ein vorsichtiger, langsamer Abschied, meint Ministerin Voynet.

Wenn überhaupt, dann wird der Atomaustieg nach Einschätzung der Internationalen Energie-Agentur in Paris vorsichtig und langsam verlaufen. "Wir erwarten einen stetigen Verbrauch an Atomenergie in den

nächsten Jahrzehnten," sagt der Energieexperte der Agentur, John Pfaffenberger. Erst um das Jahr 2020 dürfte sich herausstellen, ob die Atomenergie ihre starke Stellung halten kann. Denn dann müssen

viele der derzeitigen Werke ersetzt werden. Derzeit steht etwa die Hälfte der weltweit gut 400 Atomkraftwerke in Europa. Sie liefern 35 Prozent des gesamten EU-Energiebedarfs.

Bisher hat sich die Atomkraft allem Druck der Ökologiebewegung zum Trotz behaupten können. Und Fachleute würden nicht darauf wetten, daß dies künftig anders wird. "Der Ausstieg ist ein Riesenaufgabe.

Da müssen viele Hürden überwunden werden," sagt Jan Murray vom Weltenergierat · einer Nichtregierungsorganisation · in London. Zu den Hürden zählen Kenner ausgerechnet auch das Thema Umweltschutz.

In den nächsten Jahren dürfte Europa unter wachsenden Druck geraten, den Ausstoß von Schadstoffen zu reduzieren, um weitere Klimaschäden zu vermeiden, sagt Pfaffenberger. Er verweist darauf, daß AKWs

keine oder weniger klimaschädigende Gase produziere, als etwa Kohlekraftwerke. Auch die Atomlobby weiß um den Wert der Ökologiekarte im Atompoker und will die Debatte um den Klimaschutz als Argument

für die Atomkraft nutzen.

"Die Grünen machen in Sachen Treibhauseffekt eine gute Arbeit", sagt der Chef des Uranium-Instituts in London, Gerald Clark. Er gibt sich zuversichtlich, daß die Atom-Befürworter Mitte des nächsten

Jahrhunderts wieder die Oberhand haben und neue Werke gebaut werden. "Es gibt kurzfristig politische Risiken. Doch wenn die Industrie die Nerven behält, können wir das aussitzen."