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Atomkraft und Kostenwahrheit

Von Ine Jezo-Parovsky

Politik

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Sie bergen das Risiko, in die Katastrophe zu führen. Sie sind die gefährlichste und die teuerste Form der Energiegewinnung. Ein vernichtender Befund, den österreichische Politiker Atomkraftwerken ausstellen. Was aber tun gegen die Umzingelung der Alpenrepublik durch Atommeiler, wenn an Nachbarstaaten gerichtete Bitten erfolglos bleiben und auch Proteste nichts ausrichten?

Nun man schafft ein Gesetz, das den Betreibern von Atomkraftwerken das Leben erschwert. So die Überlegungen der österreichischen Regierung und des Nationalrats, der am 7. Oktober eine deutliche Verschärfung des Atomhaftungsrechts beschloß. Kernpunkte sind eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung, also auch eine Haftung bei Naturkatastrophen, wie Erdbeben, und die Beseitigung der sogenannten "Kanalisierung" der Haftung. Was im Klartext heißt, daß für Schäden nicht · wie bisher nur die Betreiber von Kernkraftwerken haftbar gemacht werden können, sondern auch Montagefirmen oder Transportunternehmen, die radioaktives Material quer durch unser Land karren.

Eine Bestimmung, durch die stille Subventionen der Kernindustrie fallen. Denn im Gegensatz zu allen anderen Industrien war sie als einzige nicht verpflichtet, für Transportschäden aufzukommen.

Neue Wege, neues Bewußtsein

Damit, so betonte SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim, habe sich Österreich "von der internationalen Entwicklung abgekoppelt". Im Besonderen hob er die grenzüberschreitende Schadenshaftung und das unbegrenzte Haftungslimit hervor. "Bei Schäden, die von einem AKW außerhalb Österreichs ausgehen", erläuterte Jarolim, "können dann auch im Inland Schadenersatzforderungen gestellt werden." Im

Übrigen verwies er darauf, daß in der Anti-Atompolitik auch auf europäischer Ebene Initiativen gesetzt worden seien, "die auf ein neues Bewußtsein für das Problem hinweisen".

So habe die EU in ihren Beschlüssen des fünften Rahmenprogrammes eine Reduktion der Forschungsmittel für AKWs vorgesehen. In Forschungen zum Ausbau alternativer Energiequellen soll dagegen mehr Geld fließen. Der Weg sei mühsam, meinte Jarolim, aber gerade deshalb müsse man auch kleine Schritte als Erfolg anerkennen.

Ziel kernenergiefreies Mitteleuropa

Ein Umdenken in der Atompolitik durch österreichische Initiativen ortete auch ÖVP-Abg. Maria Kallat. Sie erinnerte daran, daß es schon 1995 gelungen sei, im EU-Umweltministerrat eine Mehrheit gegen einen EBRD-Kredit für die Fertigstellung Mochovces zu finden. Dadurch sei der Einstieg der Entwicklungsbank in die Atomenergieförderung verhindert worden.

Von der neuen slowakischen Regierung, so meinte sie, erhoffe sie sich eine Haltungsänderung in der Atompolitik. Als Vorbilder bei den Sicherheitsstandards von Kernkraftwerken müßten aber die EU- Mitglieder vorangehen. Lobende Worte fand sie in diesem Zusammenhang für Deutschland, das auf die Fertigstellung des AKW Greifswald verzichtete und ein bayerisches Kernkraftwerk unmittelbar nach seiner Fertigstellung abgeschaltet hatte.

Gerade die weitere Entwicklung in Deutschland werde hier von großem Interesse sein, gab Volker Kier vom Liberalen Forum zu bedenken. Hier stehe die deutsche Bundesrepublik vor einer großen Prüfung.

Es sei "die eigentliche Gretchenfrage der kommenden Regierung", so Kier, "ob auch in Deutschland kurzfristig und möglichst schon morgen die Kanalisierung abgeschafft werden wird."

Hoffnungen in die neue deutsche Regierung setzte auch die Grün-Abg. Gabriela Moser. Sie appellierte an die Regierung, mit der neuen Rot-Grünen Regierung, die einen anderen atompolitischen Kurs steuern werde, einen Schulterschluß zu fassen. Das sei gerade im Hinblick auf das Tschechische AKW Temelin und das Slowakische Mochovce "ein Gebot der Stunde". Kritik übte sie am neuen Atomhaftungsgesetz. Denn Zulieferer und Konstrukteure würden nur haften, wenn Klagen gegen die Betreiber nicht erfolgreich sind.

Duell um Ausstiegsmöglichkeiten

Weitaus heftiger attackierten die Freiheitlichen Regierung und Koalitionsparteien. "Zahnlos", wetterte der Abg. Karl Schweitzer, seien das neue Gesetz und die Atompolitik der Bundesregierung. Mochovce sei ans Netz gegangen, Bohunice sei noch immer nicht abgeschaltet. Daher, so Schweitzer, müsse die Regierung das einzige Druckmittel anwenden, das ihr bleibe: Nämlich die

Junktimierung des EU-Beitrittes Tschechiens oder der Slowakei mit einem klaren, schrittweisen, genau geplanten Ausstiegskonzept aus der Atomkraft.

Scharfer Konter von Umweltminister Martin Bartenstein: Wer ein Veto Österreichs gegenüber dem Beitritt der Slowakei oder Tschechiens bei einem Nichtausstieg aus der Stromgewinnung durch Atomkraft fordert, der agiere "populistisch". Eine solche Junktimierung sei nicht professionell. Und Bartenstein weiter: "Das ist amateurhaft, das ist nicht realistisch, das ist naiv."

Vorreiterrolle

Immerhin stimmte auch die FPÖ dem Atomhaftpflichtgesetz in Dritter Lesung zu. Justizminister Nikolaus Michalek betonte, daß es für ein Land, das seit Jahrzehnten nukleare Energieerzeugung ablehne, nur logisch gewesen sei, die bestehenden haftungsrechtlichen Privilegien für die Atomwirtschaft abzuschaffen. Es sei zu hoffen, daß das Gesetz Vorbild für die internationale Staatengemeinschaft wird.