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Atomwaffen? Die schaffen wir einfach ab!

Von Thomas Nowotny

Gastkommentare
Thomas Nowotny ist Dozent für Politikwissenschaft. Er war Diplomat und einst Sekretär von Bundeskanzler Bruno Kreisky.
© privat

Warum der jüngst in Kraft getretene Nuklearwaffenverbotsvertrag letztlich kontraproduktiv wirkt und Österreichs außenpolitischer (Fast-)Alleingang innerhalb Europa nicht nachvollziehbar ist.


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90 Tage nach der 50. Ratifizierung durch einen Staat ist am 22. Jänner der von Österreich mitinitiierte Atomwaffenverbotsvertrag in Kraft getreten. Er war bei einer dazu im Auftrag der UN-Generalversammlung einberufenen Konferenz im Juli 2017 mit den Stimmen von 122 Mitgliedstaaten beschlossen worden. Außenminister Alexander Schallenberg würdigte das als österreichischen Erfolg mit einem Video, das zeigte, wie eine Atomwaffe Wien zerstören würde. Viele, darunter der Wiener Bürgermeister, haben das als eine gerade in Corona-Zeiten überflüssige Angstmacherei verurteilt.

Zweifelsohne ist die weltweite Sicherheit schon durch die bloße Existenz von Atomwaffen - derzeit rund 14.300 - gefährdet. Schon die Irrmeinung, selbst angegriffen zu werden, könnte einen Atomschlag auslösen. In den vergangenen 70 Jahren ist man mehrmals an einer solchen Katastrophe vorbeigeschrammt. Und die Gefahr eines ungeplanten, nicht beabsichtigten Einsatzes von Atomwaffen wächst natürlich mit der Zahl der verfügbaren Atomwaffen und der Zahl der Staaten, die welche besitzen.

Aber der hauptsächliche Zweck von Atomwaffen ist nicht deren tatsächlicher Einsatz, sondern die nukleare Abschreckung. Diese, so wird argumentiert, hätte im Kalten Krieg den Ausbruch eines großen Krieges verhindert. Freilich lässt sich diese These nicht zweifelsfrei bestätigen (ihre Falsifikation durch einen großen Krieg blieb uns Gottseidank erspart). Es ist aber immerhin wahrscheinlich, dass der beiderseitige Besitz von Atomwaffen die Gegner zu größerer Vorsicht veranlasste und dazu, die aus dem Spannungsverhältnis entstehende Gefahren durch Abrüstungsabkommen und vertrauensbildende Maßnahmen zu begrenzen.

Diese Anstrengungen sind seit einigen Jahren zum Erliegen gekommen. Seither entwickeln sich die internationalen Beziehungen in die umgekehrte Richtung hin zu Gegnerschaft und Misstrauen. Ein neuer Rüstungswettlauf umfasst auch die Aufrüstung mit Atomwaffen. Nach einer längeren Zeitspanne, in der die Zahl der Atommächte stabil gehalten werden konnte, droht sich deren Kreis nun wieder zu weiten.

Vertrauen auf moralischen Druck in der Bevölkerung

Der von Österreich hochgepriesene Atomwaffenverbotsvertrag kann daran nichts ändern. Er sagt nichts darüber aus, auf welche Weise und über welche Verfahren es zum Verzicht auf alle Atomwaffen kommen sollte. Er trifft keine Vorkehrungen für die Überwachung des erhofften Abbaus von Atomwaffen. Man vertraut offenbar darauf, dass sich, gestützt auch durch den Vertrag, in der Bevölkerung ein moralischer Druck aufbaut, der Atommächte dazu zwingen wird, ihre Kernwaffen aufzugeben, auch ohne internationale Kontrolle und ohne Gegenseitigkeit bei der atomaren Abrüstung.

Der Vertrag verwirklicht damit das Anliegen der Nichtregierungsorganisation "Campaign for Nuclear Disarmament" (CND). Diese hat ihren Ursprung in Großbritannien und einen solchen einseitigen Verzicht zunächst nur von Großbritannien eingefordert (im Übrigen hat sie auch mit Videos von der atomaren Zerstörung großer Städte operiert, deren Abklatsch im Video über die atomare Vernichtung Wiens verwendet wurde).

Die "Campaign for Nuclear Disarmament" und andere Befürworter einseitiger nuklearer Abrüstung sind überzeugt, moralischer Druck könne selbst fundamentale politische Richtungswechsel erzwingen. Sie verweisen dazu auf das Beispiel der Bürgerbewegung zur Abschaffung der Sklaverei, die ihr Anliegen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts tatsächlich durchsetzen konnte. Aber der Vergleich hinkt. Es ist auszuschließen, dass sich autoritär regierte Staaten wie China, Nordkorea oder Russland solch moralischem Druck beugen werden.

Aber gehen wir vom extrem unwahrscheinlichen Fall aus, dass sich die US-Bevölkerung für einen einseitigen Verzicht auf Atomwaffen erwärmen würde: Was wären die Folgen, wenn die USA ihre Atomwaffen vernichteten und ihren über den Westpazifik und Westeuropa aufgespannten Atomschirm zusammenklappten? Von den Atommächten China und Nordkorea bedroht, würden sich Südkorea und Taiwan zur Abwehr Atomwaffen anschaffen; sogar das pazifistische Japan könnte ihnen folgen. In Westeuropa könnte das ebenfalls höchst pazifistische Deutschland versucht sein, an der Schaffung einer europäischen atomaren Abschreckung mitzuwirken. Falls er im Sinne seiner Initiatoren wirksam wäre, würde der von keiner Atommacht ratifizierte Atomwaffenverbotsvertrag Unsicherheit statt Sicherheit mehren. Die Annahme, ein Vertrag, der nicht jene bindet, die als Atommächte von ihm hauptsächlich betroffen sind, könnte etwas bewirken, ist absurd.

Atomwaffensperrvertrag seit fünfzig Jahren

Gebunden sind die Atommächte demgegenüber durch einen anderen globalen Vertrag mit demselben Ziel: den 1970 in Kraft getretenen Atomwaffensperrvertrag. Dieser begegnet seit mehr als fünfzig Jahren der Gefährdung durch Atomwaffen mit einem Bündel von aufeinander abgestimmten Maßnahmen: der Verhinderung einer weiteren Verbreitung von Kernwaffen; der Erleichterung der friedlichen Nutzung der Kernenergie; der Überwachung von AKW, die verhindern soll, dass spaltbares Material für militärische Zwecke abgezweigt wird; und schließlich dem Hinwirken auf einen schrittweisen Abbau von Atomwaffen. Staaten, die noch keine haben, verpflichten sich, auch künftig keine zu erwerben. Die Atomstaaten verpflichten sich im Gegenzug, ihre Arsenale zu reduzieren. Die Kontrolle obliegt der in Wien ansässigen Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA). Atomwaffensperrvertrag und IAEA waren zumindest bis in die jüngere Vergangenheit darin erfolgreich, die von Kernwaffen ausgehende Gefahr einzudämmen. Rein formell steht der neue Atomwaffenverbotsvertrag nicht im Gegensatz zu ihrer Mission - politisch-praktisch untergräbt er allerdings ihre Wirksamkeit und Legitimität.

86 Saaten haben den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet, ratifiziert wurde er bisher von 52 - in der EU nur von Österreich, Irland und Malta. Schweden und die Schweiz - zwei neutrale Staaten, an denen sich Österreich oft misst - haben eine Ratifikation kurz erwogen, doch eine Prüfung durch Experten ergab, dass eine Ratifikation nicht ihren Interessen entspräche und ihrer Sicherheit abträglich wäre. Sicherheitspolitisch profilieren sie sich ebenso wie das neutrale Finnland durch kräftiges Engagement in friedensfördernder Sicherheitspolitik.

Keine außenpolitische Begründung für Sonderstellung

Österreich ist dem Beispiel dieser drei neutralen Staaten nicht gefolgt. Es gibt keine außenpolitische Begründung für diese Sonderstellung. Sie ist vielmehr motiviert durch ein Bemühen, sich berechtigte Ängste der Bevölkerung innenpolitisch nutzbar zu machen. Außen- und sicherheitspolitischen Schaden nimmt man dabei in Kauf. Das reiht sich in eine Folge ähnlicher, sich plattem Populismus andienender Entscheidungen: der Weigerung, der EU auch nur eine winzige Erhöhung der österreichischen Budgetbeiträge zuzugestehen; der EU-rechtswidrigen Streichung von Kindergeld an in Österreich tätige Bürger östlicher EU-Staaten; des Schürens von Ausländerfeindlichkeit; der Weigerung, dem Beispiel anderer EU-Staaten zu folgen und aus den Lagern auf griechischen Inseln auch nur ein paar wenige, ohnehin schon als solche anerkannte Flüchtlinge aufzunehmen; etc.

Wie kann der Berufsdiplomat Schallenberg, Träger eines großen Namens, all das, diesen Niedergang der österreichischen Außenpolitik vor sich verantworten?