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Langsam wird es notwendig, die kommenden EU-Wahlen wieder auf ein realistisches Maß zurückzustutzen. Wer nüchtern feststellt, dass auch danach der Prozess der Europäischen Integration weitergehen wird, redet den Urnengang im Mai nicht klein, sondern führt die längst ausufernde Aufladung der EU-Wahl wieder auf ein realistisches Maß zurück.
Tatsächlich vergeht kein Tag mehr, an dem nicht irgendwelche Möchtegern-Revolutionäre von den halluzinierenden politischen Rändern ihre Fantasien in die Welt setzen. Über das größte Echo dürfen sich dabei die Mavericks von ganz weit rechts freuen, die sich der Rettung Europas aus den Fängen einer Brüsseler Internationalen verschrieben haben. Allein die Ankündigung Stephen Bannons, der seine Zeit als Mastermind Donald Trumps heute nutzt, sich selbst als Darth Vader einer neuen Internationalen der Nationalisten zu inszenieren, sein Wissen auch in Europa anzubieten, hat zu Schüben von Angstlust bei seinen Gegnern geführt. Wen kümmert es da, dass man bisher vergeblich nach Spuren relevanter Aktivitäten Bannons sucht.
Im Vergleich dazu erhalten die Träumereien von ziemlich weit links weniger Aufmerksamkeit, aber immer noch mehr, als ihrem realen Gewicht entsprechen würde. Auch diese Splittergruppen wollen die EU retten, insbesondere vor Neoliberalen und rechten Nationalisten. Als Kopf inszeniert sich Griechenlands Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis, der sich vor allem im deutschsprachigen Raum rätselhafter Zugkraft erfreut. Und auch hier gibt es einen transatlantischen Ezzesgeber, nämlich den 77-jährigen US-Senator Bernie Sanders, der den Untergang Hillary Clintons einleitete.
Schließlich arbeitet auch Frankreichs über allen Parteien schwebender Präsident Emmanuel Macron an einer Sammlungsbewegung für die EU-Wahl. Selbstredend will auch er nichts weniger, als Europa zu retten. Zwar weiß niemand, wie ein solches Bündnis funktionieren soll, trotzdem liebäugeln etliche Liberale, Sozialdemokraten und Grüne damit, mitzumachen.
Angesichts dieser Vielzahl an Fantasieprojekten ist es ganz beruhigend, wenn zumindest die bedrohte politische Mitte dabei ist, sich seriös für die EU-Wahlen aufzustellen. Mit dem Bayern Manfred Weber und dem Niederländer Frans Timmermans haben EVP und Sozialdemokratie ihre Spitzenkandidaten nominiert. Es ist zu hoffen, dass der Chef der EVP-Fraktion im EU-Parlament und der Vizepräsident der EU-Kommission die kommende Auseinandersetzung mit der nötigen Härte, dafür mit etwas weniger aufgesetztem Pathos führen. Die Gefahr ist allerdings real, dass die Lust am Untergang mittlerweile zum Fixbestandteil aller Politik geworden ist.