Die Nervenverbindungen schrumpfen während der Schlafphasen zur Entspannung.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Madison/Wien. Fragen Sie sich auch gelegentlich, warum Sie an manchen Tagen recht lange brauchen, um in der Früh in die Gänge zu kommen? US-Wissenschafter könnten eine Erklärung gefunden haben: Auch das Gehirn braucht seine Ruhe. Und es verformt sich im Schlaf: Nachts schrumpfen die Synapsen, um sich zu entspannen. Tagsüber dehnen sie sich dagegen aus, um ihren Aufgaben nachgehen zu können. Ist die Nachtruhe jedoch gestört, kann es morgens durchaus etwas länger dauern, bis sich die Nervenverbindungen wieder in Aktivitätsmodus bringen.
Um herauszufinden, was sich tagtäglich und allnächtlich im Gehirn abspielt, hat ein Forscherteam der Universität Wisconsin in der US-Stadt Madison die Gehirnaktivität von Mäusen mit einem 3D-Elektronenmikroskop aufgenommen. Untersucht wurden zwei Regionen in der Großhirnrinde in einem Zeitraum von vier Jahren. Insgesamt 6920 Synapsen wurden mit einer Doppel-Blind-Methodik vermessen: Jene Forscher, die die Messungen auf dem Computer durchführten, wussten nicht, ob es sich bei den Daten um jene von schlafenden oder wachen Mäusen handelte.
Tagsüber wachsen Synapsen
Die Auswertungen zeigten, dass die Reize des Tages die Synapsen zu kräftigen Verbindungen zwischen den Nervenzellen heranzuwachsen ließen. Während der Schlafphasen hingegen schrumpften 80 Prozent der Nervenverbindungen in den Mäuse-Gehirnen um durchschnittlich 18 Prozent. Nur die größten, kräftigsten Synapsen blieben auch im Schlaf unverändert - die Forscher gehen davon aus, dass es sich hierbei um jene Verbindungen handelt, die die stabilsten Erinnerungen aufrecht erhalten, berichten die Studienautoren Chiara Cirelli und Giulio Tononi im Fachmagazin "Science".
"Es ist erstaunlich, dass ein Großteil der Synapsen der Großhirnrinde in so kurzer Zeit derart drastische Veränderungen erfahren, was ihre Größe betrifft. Auf den Menschen übertragen würde das bedeuten, dass Trillionen von Synapsen jede Nacht um fast 20 Prozent kleiner werden", so Cirelli.
Unter neuronaler Plastizität verstehen Hirnforscher die Eigenart von Synapsen, Nervenzellen oder auch ganzen Hirnarealen, zur Optimierung laufender Prozesse ihre Anatomie und Funktion zu verändern. Gehirnwachstum und -aktivität, der Aufbau eines Erinnerungsschatzes, das Erlernen von Fähigkeiten und Sammeln von Erfahrungen benötigen allerdings auch einen Ausgleich. Ansonsten würden die Nervenverbindungen übersättigt und irgend wann neuronale Signale, und damit auch Erinnerungen, getilgt. Der Zustand des Schlafs ist somit der Preis für die Fähigkeit des plastischen Gehirns, täglich Neues zu lernen.
Wer aber über eine längere Zeitdauer wenig schläft, senkt seine Fähigkeit, Neues zu erlernen, neue Gedächtnisinhalte abzuspeichern und letztlich seine Erinnerungen abzurufen, berichten Hirnforscher der Johns Hopkins Universität in Baltimore. Sie bestätigen damit die Ergebnisse ihrer Kollegen. Ihnen zufolge liegt die Hauptfunktion des Schlafes darin, die Gehirnzellen neu zu kalibrieren, damit diese die Aufgaben des nächsten Tages bewältigen können.
"Das Gehirn kann nur eine bestimmte Menge an Information aufnehmen, bevor es auf Reset gehen muss", betont Studienleiter Graham Diering in einer Aussendung seiner Universität. Gönnt es sich keine Pause, dann verhindert das System irgend wann, dass der Mensch dazulernt und neue Gedächtnisinhalte behält: Das System spießt sich.
Forscher gehen davon aus, dass beim Lernen Information über die Synapsen weitergereicht werden. Dabei werden Signalmoleküle, auch Neurotransmitter genannt, von den Gehirnzellen freigesetzt, um die Botschaft weiterzuleiten, und von Rezeptoren aufgefangen. Zuständig sind eigene Rezeptor-Proteine, die auch ermöglichen, Erfahrungen und Erinnerungen aufzubauen. Diering und seine Kollegen beobachteten einen bis zu 20-prozentigen Abfall dieses Proteins in den Schlafphasen der Tiere.
Zudem reguliert ein Molekül namens Homer1a die Schlaf- und Wachzustände der Synapsen. Bei schlafenden Mäusen weisen die Nervenverbindungen um bis zu 250 Prozent mehr dieses Proteins auf als bei wachen. In den Gehirnen von müden Mäusen steigt die Konzentration von Homer1a, was laut den Forschern darauf hindeutet, dass das Protein dem Tier signalisiert, dass es Schlaf benötigt. "Im Endeffekt ist Schlaf kein Stillstand, sondern er macht im Gehirn seine Arbeit", betont Diering.