Das Sehvermögen entwickelt sich erst mit der Zeit. Forscher berichten, wie Babys die Welt erblicken.
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Sie blinzeln, greifen ins Leere oder scheinen in erster Linie zu sehen, was direkt vor ihren Augen ist: Wie ein Baby die Welt sieht, hat ein Team unter Beteiligung der Universität Wien erforscht und dabei herausgefunden, wie die Kleinen visuelle Eindrücke im Gehirn ordnen.
Die Augen entwickeln sich früh in der Schwangerschaft. Allerdings sind sie vom zweiten bis zum siebenten Monat durch verschlossene Lider geschützt. Erst ab der 28. Woche schlägt der Fötus zum ersten Mal die Augen auf und beginnt, hell von dunkel zu unterscheiden. Während der ersten Monate sieht der Säugling nur auf eine Entfernung von 20 bis 30 Zentimeter scharf, also gerade genug, um das Gesicht desjenigen zu erkennen, der ihn im Arm hält. Babys müssen das Sehen genauso erlernen wie das Sprechen. Die Fähigkeit, zu fokussieren oder auch weit entfernte Dinge scharf zu sehen, oder beide Augen als Einheit zu benutzen und zu bewegen, muss geübt werden. Erst nach und nach lernen Kleinkinder, visuelle Eindrücke zu sortieren. Bisher war allerdings unklar, ob die visuelle Wahrnehmung im Gehirn von Babys vor dem Spracherwerb fundamental anders ist als bei Erwachsenen.
Stefanie Höhl von der Universität Wien hat zusammen mit Kolleginnen und Kollegen der Freien Universität Berlin die Gehirnaktivitäten von Babys und Erwachsenen beim Betrachten von Bildern verglichen, um herauszufinden, wie Babys die Welt wahrnehmen. Die Studie erscheint im Fachjournal "Current Biology".
Das Sehvermögen ermöglicht es, uns täglich im Alltag zu bewegen, in der Sekunde etwa Tische von Stühlen zu unterscheiden oder blitzschnell zu reagieren, wenn ein Auto unerwartet um die Ecke biegt, während wir die Straße überqueren. Frühere Studien zur Messung von Blickbewegung hatten gezeigt, dass Babys im ersten Lebensjahr immer besser darin werden, Objekte in Kategorien einzuordnen. Die neue Studie gibt Aufschluss über die Prozesse, die dabei im Gehirn ablaufen.
Gehirnrhythmen langsamer
Das Team hat die Gehirnaktivität von Babys im Alter zwischen sechs und acht Monaten mittels Elektro-Enzephalographie aufgezeichnet, während die Kleinen sich mehr als 100 Bilder von Menschen, Spielzeugen und Häusern ansahen. Zum Vergleich schaute eine Gruppe von Erwachsenen dieselben Bilder an. Die Forschenden wollten den Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der Wahrnehmung bei Babys und Erwachsenen auf die Spur kommen.
"Wir konnten beobachten, dass Babys die verschiedenen Bilder bereits in Kategorien wie ‚Gesichter‘ und ‚Spielzeuge‘ einordnen konnten. Aber sie waren dabei deutlich weniger präzise und sehr viel langsamer als die Erwachsenen", erklärt die Studienleiterin Höhl.
Die langsamere Informationsweiterleitung im kindlichen Gehirn könne damit zusammenhängen, dass die Verbindungen zwischen Gehirnarealen bei Babys noch nicht ausgereift sind. Im erwachsenen Gehirn sorgt die Myelinschicht für eine beschleunigte Weiterleitung von Sinnesreizen. Myelin ist eine Biomembran, mit der die Axone der meisten Nervenzellen von Wirbeltieren umwickelt sind. Die so gebildete Myelinschicht erhöht die Geschwindigkeit der Erregungsleitung. Sie bildet sich nach der Geburt allerdings erst nach und nach aus.
Laut der Forscherin zeigen die Messungen, dass bei den Babys auch die Gehirnrhythmen, die an der visuellen Verarbeitung beteiligt sind, deutlich langsamere Frequenzen haben als die der Erwachsenen. Der Vergleich mit Computermodellen zeigte zudem, dass die Wahrnehmungsprozesse bei Babys vorwiegend von grundlegenden Eigenschaften der Bilder geprägt waren, etwa Helligkeit oder Kanten. Dagegen spielten bei Erwachsenen komplexere Aspekte, wie etwa Formen oder Muster, eine größere Rolle.
Gleichzeitig gab es Zusammenhänge zwischen den visuellen Wahrnehmungsprozessen der kleinen und der großen Versuchsteilnehmer. Diese belegen, dass Babys verschiedene Arten von Objekten bereits ähnlich wie Erwachsene wahrnehmen.
"Wir haben nun viel über die Wahrnehmung bei Babys im Vergleich zu Erwachsenen gelernt, aber dazwischen passiert natürlich unheimlich viel", fasst Höhl in einer Aussendung der Uni Wien zusammen. Als Nächstes wolle man Untersuchungen mit Kindern im Kindergarten- und Schulalter durchführen.(est)