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Auch die Wirtschaft blutet aus

Von Carsten Wieland

Politik

Tel Aviv - Die Gewalt im Nahen Osten lässt auch die Wirtschaft bluten. Schon in "normalen" Zeiten kostet der Palästinenser-Aufstand die Region nach israelischen Medienangaben bis zu 1 Mill. Euro täglich. Die Einberufung von 20.000 Reservisten saugt zusätzlich 2 Mill. Euro am Tag aus Israels Wirtschaft, wie das Nationale Versicherungsinstitut ausrechnete. Soldaten-Lohn und Ausrüstung belasten den Fiskus mit weiteren 2 Mill. Euro täglich. Auf palästinensischer Seite ist das Wirtschaftsleben seit dem Einmarsch der israelischen Truppen praktisch zusammengebrochen.


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"Der gegenwärtige Konflikt bringt die israelische Wirtschaft in sehr ernste Probleme", sagt Ariel Arnon, Ökonomie-Professor an der Ben-Gurion-Universität in Beerscheba. "Die Stagnation der israelischen Wirtschaft, gar eine Rezession, wird nicht aufhören, wenn der Konflikt nicht endet." Die Firmen investierten nicht mehr. Die Arbeitslosenquote ist im Vergleich zum Vorjahr von rund 8,5 Prozent auf mehr als 10 Prozent gestiegen. Der Schekel setzt seine Talfahrt gegenüber dem Dollar fort, und während der täglichen Selbstmord-Anschläge über Ostern stürzte der Aktienindex an der Tel Aviver Börse um 6,2 Prozent ab, so stark wie seit eineinhalb Jahren nicht mehr.

Auch die Touristen bleiben fern. Im Vergleich zum Vorjahr sei die Zahl der Ausländer, die Israel besuchen, auf ein Viertel geschrumpft, teilte der Gastronomie-Verband mit. Israelis reisen ebenfalls weniger. Die Hotel-Branche kündigte an, nach Ostern 2.000 Stellen abzubauen. Die einzige Berufsgruppe mit guten Aussichten ist derzeit das Wachpersonal. Alleine die Hotels suchen 500 Personen, die die Kunden am Eingang nach Sprengstoff und Waffen absuchen. Selbst kleine Gaststätten müssen neuerdings Wächter an den Eingängen postieren. Da die Kunden aus Angst vor Anschlägen in den vergangenen Tagen trotzdem ausgeblieben sind, sehen viele Gastronomen harten Zeiten entgegen.

Langfristig sei der Schaden noch viel größer, meint Arnon. "Israel wird für die Palästinenser-Gebiete ein Wiederaufbau-Programm in großem Stil auf die Beine stellen müssen." Die Autonomie-Behörde, die für drei Mill. Palästinenser verantwortlich ist, existiert faktisch nicht mehr. Eine Million Palästinenser leben von Gehältern des öffentlichen Dienstes und sind derzeit praktisch ohne Einkommen.

Auch die Araber in Ost-Jerusalem, die sich frei bewegen können, haben es oft schwer, sich mit Gelegenheitsjobs durchzuschlagen. "Die Juden wollen nicht mit uns fahren", sagt der Taxifahrer Amer Hajawi (25). "Die jüdischen Fahrer sind dauernd beschäftigt, aber wir warten fünf bis sechs Stunden auf einen Kunden." Hajawi verdient im Monat rund 500 Schekel (etwa 125 Euro). Noch bis vor einem halben Jahr arbeitete er in einem internationalen Hotel in West-Jerusalem, bis es dicht machte. "Damals war alles gut", sagt Hajawi. "Jeden Monat brachte ich 3.000 Schekel nach Hause."

Die Gewalt hat auch den Handel zwischen Israelis und Arabern im Westjordanland abgeschnitten. "Früher sind wir immer die paar Kilometer ins Westjordanland gefahren, um unsere Autos reparieren zu lassen, weil es dort billiger war", meint ein jüdischer Taxifahrer in Tel Aviv. Jetzt warten die Mechaniker dort vergeblich auf Arbeit.

Während die meisten Palästinenser wegen der kriegsähnlichen Zustände ihrem Gewerbe nicht mehr nachgehen können, meiden viele Juden aus Angst vor Anschlägen die Geschäfte. Den Israelis bleibt allerdings der Ausweg in die virtuelle Welt. Über Ostern haben die großen Internet-Anbieter einen außergewöhnlichen Anstieg an Einkäufen per Mausklick festgestellt.