Echt blöd für den ÖGB, dass es der Wirtschaft ausgerechnet in einer Zeit immer prächtiger geht, in der die Gewerkschaftsbewegung nach dem politisch-moralischen Bawag-Desaster künstlich beatmet werden muss. Gewerkschaft unten, Wirtschaftswachstum oben - so stellten sich viele Thatcher-gestählte Neoliberale die Grundformel der Ökonomie schon immer vor.
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Wie so viele Faustregeln erweist sich auch diese als nicht brauchbar. Wenn schon, dann hätte "die Wirtschaft" - das ist konkret immer noch die Gesamtzahl der einzelnen Unternehmen samt deren Interessenverbänden - viel Zeit und Gelegenheit gehabt zu zeigen, was sie sonst noch kann, außer durch geschickte Wachstums- und Exportstrategien Gewinne zu maximieren.
Tatsächlich wurde ja schon in einer Zeit, als man noch glauben durfte, dass im Streikfonds des Gewerkschaftsbundes auch Geld drin sei, die Arbeitswelt munter "flexibilisiert". Das gelang um so leichter, als die ÖGB-Funktionäre keine andere Antwort auf drängende Fragen der globalisierten Welt hatten, als beispielsweise einen Eisenbahnerstreik vorzuführen, was soeben auch deren deutsche Kollegen probieren.
Per Saldo weiß sowieso niemand mehr, was ein richtiger Job ist, am wenigsten die Jungen, die ihn am dringendsten brauchten. Die Lehrlingsausbildung funktioniert streckenweise nur noch, wenn sie aus Transfergeldern gestützt wird, und ungeachtet der aktuellen Mindestlohnvereinbarung gibt es weiterhin Arbeitsverhältnisse bis zum Nulltarif hin, während Managergehälter keine Grenze nach oben kennen.
Eine große Blamage leisten sich die sogenannten freien Berufe, die angesichts der Mindestlohndebatte so tun, als wüssten sie nicht, worum es geht. Für Jusstudenten ist es aber kein Geheimnis, dass die jungen Leute in manchen Anwaltskanzleien so konsequent ausgenützt werden, als käme es dort auf hundert Euro mehr oder weniger Entlohnung tatsächlich an.
Freie Hand hat die Wirtschaft zur Genüge gehabt. Und da ist es dann doch ziemlich peinlich, wenn die Experten des Wirtschaftsforschungsinstituts in ihre Halbjahresanalyse hineinschreiben: "Der Anstieg der Haushaltsnettoeinkommen speist sich heuer vorrangig aus der Zunahme der Beschäftigung, während das Arbeitseinkommen pro Kopf in realer Rechnung über den gesamten Prognosezeitraum stagniert. Der Beitrag der Konsumnachfrage der privaten Haushalte zum Wirtschaftswachstum bleibt aus diesem Grund in diesem Aufschwung sehr gering."
Dass Lohnempfänger zugleich die Konsumenten, also Käufer der Dienstleistungen und Produkte, sind, wird vorübergehend durch die schönen Exportziffern verdeckt. Das Exportwachstum kann aber von heute auf morgen durch weltwirtschaftliche Veränderungen einbrechen. Was dann, wenn in Österreich noch mehr und vielleicht doppelt so viele Haushalte wie die heutigen 170.000 überschuldet sind und auch die schuldenfreien das Geld zusammenhalten müssen, weil von der "guten Konjunktur" für sie nichts abfällt?
Analog dazu haben offenbar in den vergangenen zehn Jahren nicht alle Unternehmen - auch öffentliche nicht - durchschaut, dass die mit vielen Vergünstigungen aus der Arbeitswelt hinausgelobten 55- und 60-Jährigen sehr bald fehlen könnten. Man hat nämlich ausschließlich auf das Alter geachtet und nicht auf Fähigkeiten, und siehe da: großes Jammern, dass zu wenige Facharbeiter vorhanden sind. Vielleicht hätte man Facharbeiter rechtzeitig ausbilden sollen?
So toll ist also der Beitrag der Wirtschaft zur Gestaltung der Arbeitswelt auch wieder nicht, wie es gern dargestellt wird.