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Auch Donald Trump hat eine faire Chance verdient, sich zu beweisen

Von Daniel Witzeling

Gastkommentare

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Vor einem Jahr hätte sich noch kaum jemand Donald Trump als 45. Präsidenten der USA vorstellen können oder davon zu träumen gewagt. Nun ist "The Donald" einer der mächtigsten Männer der Welt und für die Geschicke eines nicht unwesentlichen Global Players zumindest mitverantwortlich. Was wird dieser Egomane mit einem Hang zu politisch inkorrekten Handlungen und Statements tun? Womit wird er die Welt in Atem halten?

Keine Frage, Trump ist ein Narzisst. Seine Persönlichkeit manifestiert sich in knappen Twitter-Nachrichten, die er schonungslos und ohne große strategische Überlegungen absondert. Er handelt und kommuniziert blitzschnell, instinktiv und intuitiv, ohne lange über seine Taten und Aussagen zu reflektieren. Wenn er sich angegriffen fühlt, ist für ihn Angriff die beste Verteidigung im Sinne der durch den US-Psychologen Walter Cannon beschriebenen, "Fight or Flight"-Reaktion. Ob höhere Werte hier Platz haben, bleibt fraglich.

So paradox es aber klingen mag: Das politische Schreckgespenst Trump könnte nun die Identifikationsfigur für all die Frustrierten und sich vom System ausgeschlossen Fühlenden sein und dadurch eine psycho- und sozialhygienische Funktion einnehmen. Trotz der Demonstrationen bei seiner Inauguration und einem sich immer stärker formierenden Lager an Trump-Gegnern, die das Schlimmste befürchten, hätte ohne Trump ein großer Teil der Gesellschaft in den USA, großteils bestehend aus Fortschrittsverlierern, nicht die Stimme erhalten, mit der sich diese Bevölkerungsgruppe nun emotional identifizieren kann.

Vielleicht wird vieles gar nicht so heiß gegessen wie gekocht

Bei allen negativen Facetten, wie frauenfeindlichen sexistischen Positionen oder politisch weniger korrekten Aussagen Minderheiten gegenüber, die Trump in sich vereint, könnte er nun tatsächlich eine Katalysator- und Integrationsfunktion in der Gesellschaft einnehmen für all jene, die sich nicht mehr als Teil dieser sehen.

Bei aller vielleicht berechtigter Skepsis gegenüber dem neuen Präsidenten sollte man auch versuchen, Trump eine faire Chance zu geben und möglichst unvoreingenommen seine ersten Taten sachlich ohne Vorbehalte bewerten. Es wird sich im Laufe seiner Amtszeit als Präsident der USA zeigen, ob die Ressentiments ihm gegenüber berechtigt sind und waren oder ob vieles gar nicht so heiß gegessen wird wie gekocht.

Wie sagte schon der russische Schriftsteller Leo Tolstoi: "Um Gelassenheit und Festigkeit zu erwerben, gibt es nur ein Mittel: die Liebe, die Liebe zu deinen Feinden." In diesem Sinne sollte man ausnahmsweise das Beste annehmen und positiv in die Zukunft blicken. Denn weitere Spannungen und Polarisierungen sind für eine progressive Entwicklung der Gesellschaft in den USA wie auch in Europa und Nahost nicht förderlich. Nicht umsonst heißt es: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Zum Autor

Daniel
Witzeling

ist Psychologe und Sozialforscher. Er leitet das Humaninstitut Vienna (www.humaninstitut.at).