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Auch ich lebe in Favoriten

Von Nour Khelifi

Politik
Zu laut, zu voll, zu fremd ist für einige Favoritner ihr Bezirk. Anderen gefällt genau dieser Lärm, diese Dichte und vor allem diese Diversität.
© Luiza Puiu

Vergangene Woche schrieb die Seniorin Maria Gornikiewic, wie unwohl sie sich in ihrem Bezirk fühlt. Jetzt beschreibt die junge Frau Nour Khelifi, wie sie "ihr" Favoriten wahrnimmt.


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Wien. Vergangene Woche richtete sich die Seniorin Maria Gornikiewicz mit einem offenen Brief an die "Wiener Zeitung". Sie war sehr wütend. Sie fühlt sich nicht mehr wohl in ihrem Bezirk, Favoriten. Er ist ihr zu laut, zu voll, zu fremd geworden.

Auch ich lebe in Favoriten. Seit meinem sechsten Lebensjahr bin ich hier zu Hause. Davor lebte ich mit meinen Eltern und meinen zwei Geschwistern im 4. Bezirk. Zu hektisch war es ihnen dort. Meine Eltern, beide Akademiker, sehnten sich nach weniger Stress. Nach ein bisschen mehr Grün für die Kinder, ein bisschen mehr Ruhe. Ihre Wahl fiel auf Favoriten. Wir leben in einer sehr grünen und ruhigen Gegend. Das vermeintliche Ghetto, zu dem Favoriten immer stigmatisiert wird, sucht man hier vergeblich.

Meine Geschwister, meine Freunde und ich machen uns lustig über dieses Image von Favoriten als dem Problembezirk, dem Ghetto Wiens, dem heißen Pflaster. Aber ich verstehe, wie dieses Bild in den Köpfen der Leute entstehen konnte. Immer wieder geistern Berichte vom gefährlichen Favoriten durch die Medien. Ich kann mitfühlen, wenn einige dann Angst haben, in der U1-Endstation Reumannplatz auszusteigen. Wer hätte das nicht, wenn er ständig von Räubern und Vergewaltigern liest? Und glaubt, die Statistik auf seiner Seite zu haben. Denn laut Statistik haben wir in Favoriten die größten Polizeieinsätze.

Aber in Favoriten findet regelmäßig das Fußball-Derby Austria Wien gegen Rapid Wien statt. Da ist das Aufgebot an Polizisten sehr hoch, um nicht nur die Fans vor sich selber zu schützen, sondern auch die Anrainer. Ja, es stimmt, dass derzeit eine Baustelle nach der anderen aus dem Boden herausschießt. Ja, es stimmt, dass der daraus resultierende Lärm eine Zerreißprobe für die Nerven sein kann.

Frau Gornikiewicz meint, dass es mittlerweile ein Ding der Unmöglichkeit sei, alt und Favoritnerin zu sein. Ich bin mir sicher, dass das nicht nur auf den 10. Bezirk zutrifft. Wir leben heutzutage in einer Zeit, in der wir entweder mit der Stadt wachsen oder die Stadt über uns hinauswächst. Nur muss jeder für sich einen Weg finden, wie er mit dieser Globalisierung klarkommen kann. Sich dagegenzustellen und alles und jeden dafür verantwortlich zu machen, ist auch nicht gerade das Wahre.

Senior Watchers im Park?

Mit einer Stadt, die so schnell wächst und wo viele Menschen auf einem Fleck miteinander auskommen müssen, kann man Frau Gornikiewicz’ Wunsch nach öffentlichen Seniorenplätzen nachvollziehen. Nur wie stellt man sich so ein Vorhaben vor? Werden dann sogenannte "Senior Watchers" die Parkbesucher auf ihr Alter kontrollieren?

Der Aufschrei nach mehr Ruhe und Idylle ist verständlich, nur dieses Vorhaben auch in die Tat umzusetzen wird sich als unmöglich entpuppen. Nicht nur Senioren würden sich gerne eine Auszeit vom schnellen Leben der Stadt gönnen, auch junge Leute wie ich sitzen gerne im Grünen und genießen die saubere Luft und die angenehme Stille. Deswegen wären Seniorenplätze, in diesem Sinne, ein gesellschaftlich sehr exkludierender Akt. Ich nehme einmal an, dass Senioren gerne unter sich sind, nur merke ich selbst, dass dieselbigen gerne das Gespräch mit Menschen anderer Generationen suchen. Ich finde, dass man genau durch solche Gespräche auf die Ängste, Anliegen oder Bedürfnisse des Gegenübers eingehen kann.

Man muss offener und gesprächiger agieren, mit einer negativen Einstellung kommen eben nur unerfreuliche Bekanntschaften und Situationen hervor. Deswegen finde ich den Ansatz vieler Favoritner falsch, welche die sogenannten "Ausländer" für all die gesellschaftlichen Probleme verantwortlich machen.

Ich bin 21 Jahre alt. Und es vergeht kein Tag, wo ich nicht schief angesehen oder angepöbelt werde. Ich erinnere mich, als ich 13 war und für mich beschloss, das Kopftuch zu tragen, und die hasserfüllten Blicke in den Straßenbahnen und Bussen in meine Richtung gingen. Ich erinnere mich, dass ich all die Jahre hindurch stets mit gebrochenem Deutsch angesprochen wurde, weil jeder davon ausging, dass ich die deutsche Sprache nicht beherrsche. Solche Geschichten sind Alltag für mich. Ich kenne die schiefen Blicke und die Pöbeleien. Ich habe mich daran gewöhnt und will mich auch nicht in der Opferrolle suhlen. Trotzdem muss man sich eine dicke Haut wachsen lassen.

Verdammte Ausländerbrut

Heute kann ich solchen Attacken mit Humor kontern. Doch wenn schon kleine Kinder aufs Ärgste beschimpft werden, dann hört der Spaß auf. Wenn ein kleines Mädchen als "verdammte Ausländerbrut" bezeichnet wird, nur weil sie unschuldig an ihrem Eis leckt. Ist den Leuten nicht klar, was sie mit solchen Aussagen und Beschimpfungen bei Kindern auslösen? Ungeachtet von Herkunft oder Geschlecht, so geht man mit Kindern nicht um. Auch wenn sie sich öffentlich danebenbenehmen, so sollte man die Kinder auf eine lockere Weise des Besseren belehren. Und nicht gleich der kompletten Familie eine Abschiebung ins Heimatland wünschen. Blöd, wenn die Heimat Österreich ist, nicht?

Von einer Journalistin und mehrfach ausgezeichneten Autorin erwarte ich mir weit mehr, als alle Menschen in einen Topf zu werfen. Ich denke, dass nicht nur besagte "Türkenjungen", sondern auch "Österreicherjungen" ab und zu den Müll einfach fallen lassen und gelegentlich mit Gewichtsproblemen zu kämpfen haben. Das sind Probleme, die nicht in erster Linie mit der Herkunft in Verbindung gebracht werden dürfen. Es ist vielmehr eine Sache der Erziehung.

Doch ich verstehe den Frust der Autorin. Vor allem, wenn sie von der Politik mit ihren Ängsten nicht ernst genommen wird. Und wer die Antworten der Parteien vergangene Woche in der "Wiener Zeitung" gelesen hat, weiß, wie hilf- und planlos und überfordert sie mit dem Umgang solcher Ängste sind. Ich habe das Gefühl, dass die Politiker nicht wissen, was den Bürger heute interessiert oder quält. Es wird vielmehr darauf geachtet, Stimmen durch Gratiskugelschreiber und Freibier zu ergattern.

Ein bisschen mehr Verständnis

Wien ist eine lebenswerte Stadt und wir sollten diese Tatsache auch mehr schätzen. Doch nicht nur sauberes Wasser und eine gute Infrastruktur machen eine Stadt lebenswert. Wichtig ist auch, wie die Einstellung der Bewohner zueinander ist. Mit ein bisschen mehr Verständnis und Respekt können wir das Stadtleben für uns alle angenehmer gestalten. Favoriten hat seine Probleme, so wie jeder andere Bezirk auch. Ich bin aber trotzdem mit diesem lebhaften Bezirk mit all seinen lustigen Leuten und schönen Ecken zufrieden. Gerne stelle ich Frau Gornikiewicz dieses Favoriten einmal vor.

Nour Khelifi, geboren 1993 in Wien, studiert unter anderem Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Uni Wien. Außerdem ist sie freie Journalistin bei der "Wiener Zeitung", beim Stadtmagazin "das Biber" sowie bei "Progress", dem Magazin der österreichischen Hochschülerschaft.