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"Auch im Kommunismus war die Macht konzentriert"

Von Clemens Neuhold

Wirtschaft

Bei Vermögenssteuern sind Professor Altzinger (WU) und Professor Keuschnigg (IHS) wie Hund und Katz. | Ein Streitgespräch über die Konzentration von Macht, Vermögen und den Ausweg aus der politischen Paralyse.


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Wien. Wilfried Altzinger entstammt einer oberösterreichischen Unternehmerdynastie und hat schon einmal beträchtlich geerbt. Der auf Verteilungspolitik spezialisierte Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien ist ausdrücklich für Erbschafts- und Vermögenssteuern. Professor Christian Keuschnigg ist Leiter des Instituts für Höhere Studien (IHS) und lehrt an der Uni St. Gallen. Er stammt aus einfachen Verhältnissen und ist gegen neue Vermögenssteuern. Die beiden kennen sich, duzen sich und schenken sich nichts in der Debatte über Vermögenssteuern, Wohlstand und die Macht der Milliardäre.

"Wiener Zeitung": Ist es möglich, die Verteilung des Vermögens sachlich zu diskutieren oder gleiten wir zwangsläufig in die Ideologie ab?Wilfried Altzinger: Der erste und wichtigste Punkt ist eine Datenlage über den Vermögensbestand und dessen Verteilung. Hier hat es Verbesserungen gegeben durch die Erhebungen der Europäischen Zentralbank. Die Erhebungen für Österreich weisen aktuell einen privaten Vermögensbestand von einer Billion aus. Im Vergleich zum BIP hat sich der Vermögensbestand in den vergangenen vier Jahrzehnten in allen großen Industriestaaten mehr als verdoppelt. Das heißt, die Bedeutung des Privatvermögens ist enorm gestiegen. Aber es gibt einen großen Graubereich bei den wirklich großen Vermögen. Die reichsten 500 Haushalte sind nicht erfasst. Mit ihnen steigt das Vermögen auf 1,25 Billionen und der Vermögensanteil der obersten fünf Prozent steigt somit von 48 auf 57 Prozent.

Glauben Sie die Daten, Herr Keuschnigg? Finanzminister Spindelegger tut es nicht. Er spricht von Daumen mal Pi-Umfragen.Christian Keuschnigg: Ich habe kein Problem mit den Daten. Nur sollte man darüber diskutieren, wie Wohlstand verteilt ist. Für den Wohlstand spielt auch das Sozialsystem eine wichtige Rolle. Nur die Vermögen zu betrachten, greift zu kurz. So ist es kein Wunder, dass niedrige Einkommen kaum Vermögen bilden. Denn sie sparen über das Umlagesystem für die Pension an und erwerben dort mit ihren hohen Beitragszahlungen Ansprüche. Erweitert man den Vermögensbegriff um das Sozialsystem, ist die Ungleichheit sehr viel geringer.

Was vermag Vermögen?Keuschnigg: Die Vermögensbildung ist enorm wichtig, damit Wachstum stattfinden kann. Sie ist die Quelle von Beschäftigung.

Altzinger: Vermögen ist zentral für Wirtschaft und Wachstum. Aber es ist so extrem konzentriert, dass man sich sehr wohl die Frage stellen muss, welche Implikationen das für die demokratische Kontrolle und die Gesetzgebung hat. Nehmen wir zum Beispiel die Lizenzvergaben für Kasinos. Es ist eine simple Gleichung, dass man Vermögen besonders gut erweitern kann, wenn man entsprechende Zugänge zu politischen Regulierungsinstanzen hat. In den USA wird Vermögen als politischer Faktor bereits viel stärker diskutiert.

Keuschnigg: Das mag jetzt demagogisch klingen, aber im Kommunismus gab es keine wahnsinnigen Privatvermögen. Und trotzdem war die Macht in der Hand ein paar weniger Funktionäre konzentriert. Außerdem scheint es mir nicht so, dass Milliardäre wie Mateschitz (Red Bull) oder Piëch (Porsche) die aggressiven Einflussnehmer im dunklen Kämmerchen sind, sondern die Debatten sehr stark von Managern wie Voestalpine-Chef Wolfgang Eder beeinflusst werden. Deswegen sehe ich die Vermögensfrage hier entkoppelt. Könnte man aus demokratiepolitischer Sicht nicht vielmehr zu Bedenken geben, dass eine von der Mehrheit beschlossene Vermögenssteuer eine kleine Minderheit trifft, die leicht überstimmt werden kann?

In der Trend-Reichenliste sind die meisten Superreichen keine Adeligen oder Erben, sondern Unternehmer. Soll man diese Leistungsträger schröpfen?Altzinger: Schauen sie sich die Herkunft der Vermögen bei den Top-100 Vermögenden an, bei fast der Hälfte heißt es trotzdem: Immobilien, Finanzanlagen, Erbe.

Keuschnigg: Da habe ich einen sehr viel positiveren Zugang. Wenn ein Unternehmer seinen Betrieb an die Börse bringt, ist es klar, dass er viel Finanzvermögen in Form von Aktien besitzt und auch Immobilien erwirbt. Außerdem: Sie lassen die Staatskasse klingeln. Die obersten zehn Prozent der Einkommensbezieher kommen für 50 Prozent der Einkommensteuer auf. Der Umverteilungsstaat funktioniert. Da freue ich mich, wenn noch ein Marc Zuckerberg dazu kommt, 10.000 Jobs schafft und Steuern zahlt. Die Vermögen sind konzentriert, das ist normal und irrelevant. Weil ich die Verteilung des Wohlstands einer Gesellschaft betrachten muss und nicht nur alleine die Verteilung des Vermögens.

Altzinger: Das klingt alles wunderbar. Aber was zahlst Du mir für mein Pensionsvermögen heute? Es gibt keinen Wert dafür, es ist nicht handelbar und auch nicht übertragbar. Aber wenn es um Vermögen und Machtfragen geht, zählt nur das echte Vermögen: Sach- und Finanzvermögen in Stiftungen, Immobilien, Aktiendepots - und auch jenes in Steueroasen. Die Staatskasse klingelt bei Milliardären? Ich glaube, Du kennst die kritische OECD-Literatur zu Steueroasen ausreichend.

Keuschnigg: Dass Steuervermeidung bekämpft gehört, da sind wir uns einig. Der Pfusch übrigens auch.

Altzinger: Das hat doch eine ganz andere Dimension. . .

Keuschnigg: Der Steuerausfall durch Pfusch ist enorm.

Zur Grundsatzdebatte in Österreich: Sollen die Lohnsteuern gesenkt und dafür die Vermögenssteuern erhöht werden?Altzinger: Ja, aber auch die 30 Prozent Arbeitnehmer, die keine Lohnsteuer zahlen, sollen durch niedrigere Sozialabgaben entlastet werden.

Keuschnigg: Lohnsteuer runter, ja, aber finanziert durch Einsparungen.

Altzinger: Eine spürbare Entlastung kostet mehrere Milliarden Euro. Wo sparst Du das bitte ein?

Keuschnigg: Bei einer Steuerquote von 45 Prozent müssen wir auf etwas verzichten können. Es wäre ein Befreiungsschlag, wenn wir das Pensionsalter rasch deutlich anheben. Und bei den Förderungen gehört querbeet gekürzt.

Höhere Vermögenssteuern lehnen Sie aus Prinzip ab?Keuschnigg: Wir haben schon eine Vermögenssteuer, nämlich die Grundsteuer. Dass man da die Einheitswerte an Verkehrswerte annähert (würde die Einnahmen erhöhen, Anm.), das kann nur vernünftig sein, weil es die Willkür in der Bemessung der Steuerlast beseitigt. Eine allgemeine Vermögenssteuer lehne ich ab, weil diese Steuer auch dann zu zahlen ist, wenn ich gar keine Erträge erziele, zum Beispiel in einer Krise. Wenn, dann soll das Einkommen aus Vermögen und Kapital die Steuerbasis sein, nicht die Einkommensquelle selbst.

Altzinger: Ich habe nichts gegen eine effizientere Besteuerung von Kapitalerträgen. Dafür sind jedoch eine breite Bemessungsgrundlage und weniger Steuervermeidungsmöglichkeiten notwendig. Und vor allem sollten Arbeits- und Kapitaleinkommen gemeinsam, individuell und progressiv besteuert werden. Bei der Kapitalertragssteuer fallen 25 Prozent an, egal, ob ich 10.000 Euro oder 10 Millionen am Sparbuch habe.

Keuschnigg: Die KESt wurde schon ausgebaut. Sie fällt nun auch an, wenn Gewinnzuwächse bei Finanzanlagen oder Immobilien realisiert werden.

Eine klassische Steuer direkt auf das Vermögen lehnen Sie beide ab?Altzinger: Nicht generell. Aber beginnen sollte man bei den Erträgen sowie bei der Grund- und Erbschaftssteuer. Bei der Vermögenssteuer ist die Herausforderung, wie ich sie erhebe, wenn es ein Bankgeheimnis gibt.

Haben Sie beide selbst schon Erbschaftsteuer bezahlt?Keuschnigg: Ich nicht. Aber wenn ich etwas vererbe, würde ich mich über die Steuer ärgern. Denn ich spare an, um meinen Kindern ein Startkapital zu hinterlassen. Und ich habe dafür bereits KESt bezahlt, abgesehen von der überaus hohen Lohnsteuer.

Altzinger: Das ist Dein individueller Fall. Bei den Top-Vermögen würde sich die Trauer über die Erbschaftsteuer wohl in Grenzen halten. Ich habe vor zehn Jahren ein nicht unbeträchtliches Erbe erhalten. Ich habe aufgrund der Bewertungsregeln zwar zehn Prozent Erbschaftsteuer bezahlt; berechnet auf den tatsächlichen Wert dieser Erbschaft lag die faktische Besteuerung jedoch unter einem Prozent. Ich bin für die Wiedereinführung der Erbschaftsteuer mit Freibeträgen, aber auf Basis von Verkehrswerten. Bereits ein Drittel der gesamten Vermögensbildung erfolgt übers Erben. Zwei Drittel der Österreicher erben gar nichts, weil die Eltern nichts haben. Von jenen, die überhaupt erben, betragen die durchschnittlichen Erbschaften im untersten Fünftel nur 14.000 Euro, im obersten aber 240.000 Euro.

Keuschnigg: Wenn ich als Geringverdiener nichts ansparen kann, weil ich mit den hohen Pensionsbeträgen bereits für das Alter spare, ist auch klar, dass ich wenig Vermögen bilden und wenig vererben kann. Dass sich Erbschaften oben konzentrieren, hat darin seinen Grund. Dass Geringverdiener weniger erben, das kann ich nicht beeinflussen.

Altzinger: Sicher, indem sie von den Einnahmen aus einer Erbschaftsteuer profitieren; etwa durch bessere Bildungsangebote.

Keuschnigg: Solange der Vermögensaufbau durch eine niedrigere Steuer zu Lebzeiten nicht begünstigt ist, bin ich gegen eine Erbschaftsteuer. Außerdem gibt es bereits Erbschaftssteuern auf einen wesentlichen Teil des Vermögens: die Grunderwerbssteuer.

Altzinger: Wenn du vom Kapitalaufbau sprichst, bist Du zu sehr im Lehrbuch (Keuschnigg lacht). 50 Prozent aller Arbeitnehmer verdienten 2012 weniger als 24.500 Euro brutto im Jahr. Erklär’ mir einmal, wie die Vermögen aufbauen sollen?

Keuschnigg: Man muss schauen, dass allzu große Ungleichheit und Armut vermieden werden. Aber das macht ja der Sozialstaat. In Österreich verteilt der Steuer- und Sozialstaat sogar überdurchschnittlich stark von oben nach unten um. Aber das hat einen hohen Preis. Wir halten bei einer Steuerquote von 45 Prozent, und das hemmt Wachstum und macht es schwer, durch mehr Beschäftigung Armut zu beseitigen.

Altzinger: Es ist ärgerlich, dass Du meinst, der Sozialstaat gleicht alles aus. Das ist nicht der Fall. Es geht nicht nur um die Steuerquote, sondern was mit den Steuereinnahmen geschieht - ob das Geld in die Vorschule oder in die Hypo gesteckt wird. Es geht darum, wie Menschen Wohlstand aufbauen können, es geht darum, ob sie Humankapital erwerben können. Wenn ich mir anschaue, wie Eltern ihre Bildungsbiografien auf ihre Kinder übertragen, leben wir in einer Welt mit extremer Chancenungleichheit. Reichere können sich bessere Schulen und Nachhilfe leisten und haben dadurch bessere Ausgangsbedingungen. Aber die vorschulische Bildung und damit die Startchancen der unteren Schichten verbessern, das kann der Staat. Aber der hat derzeit zu wenig Geld dafür. Deswegen ist die Wohlstandsverteilung so zentral vom Vermögen dominiert.

Keuschnigg: Aber Du stimmst schon zu, dass solidarisch umverteilt wird. Das kann man nicht wegdividieren. Die Menschen sind stärker abgesichert als in anderen Ländern. Dass Bildung eine zentrale Aufgabe ist, um Armut von vornherein zu verhindern und mehr Chancengleichheit zu schaffen, da sind wir uns einig.

Haben beide ihren Piketty gelesen? Eine Kurzkritik bitte.Altzinger: Piketty hat den zentralsten Punkt der Gesellschaft angesprochen, den der Chancengleichheit. Er stellt sein gesamtes Datenmaterial zur Verfügung, das heißt, jeder kann mitrechnen und mitdiskutieren. Das ist eine Bereicherung. So könnte ökonomische Wissenschaft auch wirtschaftspolitisch wieder interessant werden.

Keuschnigg: Das Buch ist eine gute Dokumentation der Vermögensentwicklung. Ich habe keine wesentlichen Einwände gegen die Datenreihen. Auch die Themen, die er anspricht, sind sicherlich zentral, auch wenn sie nicht neu erfunden sind. Neu sind die wirtschaftspolitischen Aussagen, und diese teile ich nicht. Es gibt eine Verschiebung in der Vermögenskonzentration, aber das ist kein permanenter Prozess in eine Richtung. Beim reinen Fokus auf die Verteilung des Vermögens wird zu wenig darauf eingegangen, wie der Wohlstand verteilt ist. Dabei ist die Sozialversicherung eine zentrale Säule und die wird komplett ausgeblendet.

Altzinger: Für die Wohlstandsverteilung ist die Vermögensverteilung ganz zentral.

Keuschnigg: Vieles von dem Vermögen ist produktiv und sehr notwendig für die Schaffung neuen Wohlstands. Wenn’s keine Jobs gibt, haben wir mehr Armut