Krise in der Lebensmitte könnte ein gemeinsames Erbe der Evolution sein.
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Das 28-jährige Schimpansen-Weibchen und das 35-jährige Orang-Utan-Männchen sind meist um einiges schlechter drauf als die jungen oder auch die alten Menschenaffen ihrer Gruppe. Sollten die Tiere vielleicht - ähnlich wie Menschen - eine Art Midlife Crisis erleben? Genau das vermuten Alexander Weiss von der Universität im schottischen Edinburgh und seine Kollegen in den "Proceeedings ot the National Academy of Sciences" (PNAS).
Die Forscher hatten in Japan und in verschiedenen englischsprachigen Ländern Tierpfleger, Wissenschafter und Freiwillige befragt, wie sie das Wohlbefinden der von ihnen seit Jahren betreuten Schimpansen und Orang-Utans in Zoos, Tiergehegen und Forschungseinrichtungen einschätzen. Auf einer Skala von eins bis sieben sollten sie zum Beispiel angeben, ob das Tier in guter oder schlechter Stimmung ist. Bei einer anderen der vier Fragen sollten sie einschätzen, wie glücklich sie sich selbst wohl fühlen würden, wenn sie eine Woche lang anstelle des jeweiligen Tieres säßen.
"Da beurteilt man natürlich vor allem, wie ein Mensch in dieser Situation fühlen würde. Was das Tier wirklich empfindet, können wir aber schlecht einschätzen", nennt Gottfried Hohmann vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (EVA) eine grundlegende Schwierigkeit solcher Studien: Man solle die Ergebnisse daher mit Vorsicht genießen. Verblüffend aber sind sie allemal: Junge Schimpansen und junge Orang-Utans fühlten sich demnach meistens sauwohl. Je älter die Tiere werden, umso schlechter war ihr Wohlbefinden. Dagegen besserte sich die Stimmung der Tiere nach der Lebensmitte, und im Alter erreichten sie ähnliche Werte der Zufriedenheit wie in der Jugend. Das meinten zumindest die Menschen im Umfeld der Tiere. Genau die gleiche Kurve, die an ein "U" erinnert, erhalten Sozialforscher, wenn sie Menschen nach ihrem Wohlbefinden fragen, in praktisch allen Ländern und Gesellschaftsschichten.
Zu den Theorien zu solchen Wohlbefindenskurven stellen die schottischen Forscher nun eine weitere Überlegung an: Die Midlife Crisis könnte ein gemeinsames Erbe sein, möglicherweise habe es sie schon bei den Vorfahren von Mensch und Menschenaffe gegeben.
Allerdings rät EVA-Forscher Tobias Deschner, der das Leben von Menschenaffen in der Natur untersucht, zu weiteren Studien: "Ob ein Tier sich wohlfühlt oder nicht, sollte man auch mit Hilfe von objektiv beobachtbaren Verhaltensweisen oder körperlichen Reaktionen beurteilen. Und Aussagen zur Evolution von Wohlbefinden sollten am besten nicht im Zoo, sondern in der Natur gewonnen werden."