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Auch Politik fließt über Pipelines

Von Harald Waiglein

Europaarchiv

Neue Pipelines machen Osteuropa leichter erpressbar. | Nabucco könnte russische Dominanz untergraben. | Russland will Zentralasien weiter an sich binden. | Wien. Die Versorgung mit Erdgas wird für Europa in den nächsten Jahren immer wichtiger werden: Das Wasserkraft-Potential ist weitgehend erschöpft, Kohle zu schmutzig und Atomkraft in vielen Ländern unerwünscht.


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Mit der größeren Bedeutung von Erdgas geht allerdings auch das Risiko einer steigenden Abhängigkeit von Russland einher. Denn bereits jetzt kommt die Hälfte der europäischen Gasimporte aus dem Reich Wladimir Putins. In den nächsten Jahren wird dieser Anteil auf zwei Drittel ansteigen.

Ein wesentlicher Machthebel Russlands im neuen Europa ist das Gas-Pipeline-System, das noch auch Sowjet-Zeiten stammt. Russlands Gas läuft über zwei große Pipeline-Äste - Yamal (eine geographische Bezeichnung) und Druschba (Freundschaft). Über diese Pipelines wird Westeuropa versorgt, wobei viele tausende Kilometer auf dem Territorium osteuropäischer Länder aus dem früheren Einflußbereich der Sowjetunion liegen (siehe Karte).

Exakt dieser Umstand macht Russland derzeit zu schaffen, wenn es Gas als politisches Druckmittel einsetzen will. Als Russland vor etwas mehr als einem Jahr der Ukraine den Gashahn abdrehte, bediente sich die Ukraine kurzerhand aus jenen Transit-Gas-Mengen, die eigentlich für Westeuropa bestimmt waren. Weil Russland den finanziell enorm wichtigen Gas-Absatz in Westeuropa nicht gefährden wollte, war die Ukraine nur bedingt erpressbar.

Norden und Süden

Doch das könnte sich schon bald ändern. Denn Russland hat vor, mittels neuer Pipeline-Projekte im Norden und Süden die osteuropäischen Staaten beim Gastransport nach Westeuropa zu umgehen.

Im Norden geht es dabei um die Nordstream-Pipeline (siehe Karte). Aufsichtsrats-Präsident des Nordstream-Konsortiums ist der frühere deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder. Er hält die Pipeline für wichtig, um Westeuropas Gasversorgung abzusichern.

Politisch wird die Pipeline allerdings für größere Unsicherheit sorgen. Denn sie würde es Russland erlauben, der Ukraine oder Weißrussland, aber auch EU-Mitgliedern wie den baltischen Staaten, Polen, Ungarn oder Tschechien die Gasversorgung abzudrehen, ohne die Versorgung finanzstarker westeuropäischer Länder wie Deutschland, Italien oder Frankreich zu gefährden. Die politische Macht Russlands über Osteuropa würde dadurch deutlich gestärkt.

Im Süden ist die Lage ähnlich. Hier verfügt Russland bereits über die Blue-stream-Pipeline, die unter dem Schwarzen Meer bis in die Türkei führt. Russlands Plan ist, die Bluestream über Ungarn bis Westeuropa zu verlängern. Auch das würde die Erpressbarkeit der Ukraine oder Polens durch Russland erhöhen. Direkter Konkurrent des Bluestream-Projektes ist die Nabucco-Pipeline, bei der die österreichische OMV federführend ist.

Konkurrent Nabucco

Durch Nabucco erhielte Europa einen Pipeline-Zugang zu den erdgasreichen Ländern des Nahen Ostens und Zentralasiens, der nicht von Russland kontrolliert würde. Verständlich, dass die Russen dem Projekt wenig abgewinnen können. Eine Folge davon ist, dass Ungarn (das zu 80 Prozent von russischem Erdgas abhängig ist) immer wieder schwankt, ob es das Nabucco- oder das Bluestream-Projekt unterstützen will.

Ein weiterer Faktor ist das Projekt der Transkaspischen Pipeline. Dieses wurde ursprünglich von den USA initiiert, um den befreundeten Ländern Zentralasiens eine Möglichkeit zu bieten, ihr Erdgas nach Europa zu exportieren, ohne dabei für die Benutzung russischer Pipelines horrende Gebühren bezahlen zu müssen. Die transkaspische Pipeline würde dann an Nabucco anschließen.

Theoretisch wäre der beste Weg für eine solche Pipeline über den Iran. Da der Iran aber aus politischen Gründen kein Partner für die USA sein kann (abgesehen davon, dass dann russischer Einfluss durch iranischen ausgetauscht würde), führt der einzig mögliche Weg einer solchen Pipeline durch das Kaspische Meer und durch den Kaukasus. Weil diese Region aber politisch höchst unsicher ist, liegt das Projekt seit Jahren auf Eis.

Die Russen, die die Gefahr erkannt haben, dass sich zentralasiatisches Gas künftig aus ihrem Einflussbereich verflüchtigen könnte, sind unterdessen nicht untätig. Vor wenigen Tagen hat Präsident Wladimir Putin mit Turkmenistan und Kasachstan Grundsatzvereinbarungen darüber geschlossen, das Gas beider Länder über das russische Netz nach Europa zu transportieren. Eine der wenigen alternativen Versorgungsquellen Europas würde dadurch austrocknen.

Der Zuwachs an politischer Macht für Russland ist aber nicht Europas einziges Problem. Ein weiteres ist die Frage, wieviel Gas Russland in Zukunft eigentlich liefern kann. Die Förderung aus den drei großen Feldern des russischen Gaskonzerns Gazprom, die drei Viertel der Gesamtproduktion ausmacht, sinkt pro Jahr um 6 bis 7 Prozent. Erst seit kurzem beginnen die Russen, in die Erschließung neuer Felder zu investieren. Bis diese fördern, werden aber noch Jahre vergehen.

In der Zwischenzeit schließt Russland die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage mittels undurchsichtiger Lieferverträge mit Nachbarländern, speziell mit Turkmenistan. Turkmenistan liefert billiges Gas an die Gazprom, das diese dann weiterverkauft - etwa an die Ukraine. Doch auch das birgt Risiken: Nach Meinung einiger Analysten hat Turkmenistan für den Zeitraum nach 2009 bereits Lieferverträge über ein Volumen abgeschlossen, das doppelt so hoch ist wie die Menge, die das Land realistischerweise produzieren kann .