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Auch Schall gefährdet die Wale

Von Eckart Granitza und Stefan Starina

Wissen

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Das Pochen der Zwergwale, das Stöhnen der Finnwale, das Singen der Buckelwale, das Klicken der Delphine - heute fasziniert es mehr denn je. Seit sich die Wissenschaft für die Kommunikation der größten Bewohner dieses Planeten interessiert, steigt die Ehrfurcht vor den Walen. Nach jüngsten Studien können die Meeressäuger über eine Entfernung von mehreren tausend Kilometern miteinander kommunizieren. Ihr Gesänge sind für feine Messgeräte sogar noch in 20.000 km Entfernung zu hören. Mit Hilfe von Schallwellen navigieren Wale durch die Weltmeere, orten ihre Beute, finden ihre Partner und ziehen ihre Jungen groß.

Doch leider sind unsere Weltmeere kein Ort der unendlichen Ruhe. Schiffsverkehr, Öl- und Gasgewinnung sowie militärische Aktivitäten haben in den letzten Jahren zu einer immer größeren Lärmbelastung geführt - zum Leidwesen der Wale. Viele der sich in letzter Zeit häufenden Walstrandungen werden auf diese zunehmende Lärmbelastung zurückgeführt. So strandeten Mitte März 2000 auf den Bahamas 17 Wale. Zum selben Zeitpunkt testete die amerikanische Marine ihr Unterwassersonar.

Große Frequenzreichweite

Die U.S. Navy entwickelt derzeit gemeinsam mit ihren NATO-Partnern eine Methode, um lautlose, feindliche Unterseeboote aufzuspüren. Das System heißt LFAS (Low Frequency Active Sonar) und könnte den Walen bald in die Quere kommen. Denn die Militärs bedienen sich des gleichen Tricks wie die großen Meeressäuger. Riesige Lautsprecher senden Schallwellen aus, die eine sehr geringe Frequenz haben. Je geringer die Frequenz, desto weiter kann sich der Schall im Meer verbreiten - und weit entfernte U-Boote orten. Prallt der Schall an den U-Booten ab, wird er mit Mikrofonen wieder aufgefangen. Durch die Reflexionen der Schallwellen können die Militärs Größe und Typus eines feindlichen U-Boots exakt feststellen. Doch es gibt ein Problem: Die Schallwellen sind mit Lautstärken von 230 bis 250 Dezibel extrem laut.

Eine der großen Fragen der Walexperten lautet deshalb: Was passiert, wenn das Sonar der U.S. Navy auf die Wale trifft? Ozeanforscher Jean-Michel Cousteau, Sohn des berühmten Jacques Cousteau ist sich sicher: "So wie wir primär visuell orientiert sind, sind die Wale Tiere, die sich primär mit Akustik orientieren. Wenn diese Orientierung gestört oder die Hörorgane gar geschädigt werden, sind die Wale sozusagen blind." Deshalb rief Cousteau gemeinsam mit seinem prominenten Freund Pierce Brosnan auch eine Kampagne ins Leben, um die Sonar-Entwicklung der Navy zu stoppen.

Unerträglicher Lärm für die Wale durch LFAS

Unterstützt wird Cousteau auch von der unabhängigen Pottwalexpertin und Bioakustikerin Dr. Linda Weilgart vom Max-Planck-Institut für Verhaltensforschung bei München. Sie weiß: "Der Lärm, den die LFAS-Tests loslassen, ist zehntausendfach höher als die lautesten erzeugten Waltöne in diesem Frequenzbereich. Schon bei einem Schallpegel von 120 dB versuchen Wale, dem Lärm auszuweichen."

Die im März 2000 auf den Bahamas gestrandeten 17 Wale sind der beste Beweis: Unter den Tieren waren die sehr seltenen, eigentlich in der Tiefsee lebenden Schnabelwale, ein Zwergwal und ein Atlantischer Fleckendelfin. Zehn Wale konnten von den dort ansässigen Rettungsmannschaften ins Meer zurückgeschafft werden. Sieben Wale verendeten.

Der US-amerikanische Biologe und Walforscher Ken Balcomb war zufällig dort, als die ersten Wale strandeten. Er stellte bei den toten Tieren blutunterlaufene Augen, Blut im Gehirn und Lungenschäden fest. All dies weist nach Meinung der am Ort anwesenden Wissenschaftler auf eine Explosion oder ein ähnlich starkes akustisches Ereignis hin. Balcomb: "Für eine akustische Ursache der Strandungen sprach auch, dass die ins Meer zurückgeleiteten Tiere in guter körperlicher Verfassung waren, jedoch einen orientierungslosen Eindruck machten. Außerdem ist schon die Strandung eines einzelnen Wales auf den Bahamas ein sehr seltenes Ereignis."

Navy räumte Schuld ein

Nachdem Balcomb den toten Tieren die Köpfe abgeschnitten und eingefroren hatte, flogen er und seine Kollegen die Walköpfe ins renommierte Woods Hole Oceanographic Institute an der amerikanischen Ostküste, wo sie von der Gehörspezialistin Darlene Ketten untersucht wurden. "Ich habe bei fast allen gestrandeten Schnabelwalen Blutungen am Innenohr feststellen können", bestätigte Ketten die Befürchtungen Balcombs. Die von der US-Navy mitfinanzierte Wissenschaftlerin befand zudem, dass die Wale bis auf die Schädigungen des Innenohrs und des Gehörgewebes in guter körperlicher Verfassung waren. Auch sie konnte keine Anzeichen von Krankheit, Unterernährung oder Vergiftung feststellen.

Am 20. Dezember 2001 musste die Navy in einem von ihr und der amerikanischen Fischereibehörde verfassten Zwischenbericht sogar selbst zugeben, dass ihre Sonartests für den Tod der Tiere verantwortlich waren: Eine unglückliche Verkettung von Umständen und "die ungewöhnlich lang ausgedehnten Arbeiten mit unserem taktischen, mittelfrequenten Sonar in diesem Gebiet" waren laut Navy die plausibelste Ursache für die Walstrandungen. Auf den Bahamas wurde also nicht das niedrigfrequente LFA Sonar, sondern mittelfrequentes Sonar getestet. Mit diesem können die Navy- Schiffe auf kürzere Distanzen Minen, U-Boote und die Meerestopographie erkunden.

Beweislastumkehr gefordert

Das sehr viel weitreichendere LFAS hält die Navy aus Mangel an gegenteiligen Beweisen allerdings weiterhin für unschädlich. Eine Meinung, die Weilgart nicht im geringsten teilen kann: "Wenn die mittleren Frequenzen, wie sogar von der Navy zugegeben, tödliche Folgen für die Tiere haben, warum sollten es die niedrigen Frequenzen, die viel weitreichender sind, nicht haben. Ich denke, das Militär muss beweisen, dass die Sonargeräte den Walen nicht schaden. Und dass nicht umgekehrt die Tierschützer auf immer mehr Walstrandungen warten müssen, die LFAS möglicherweise verursacht, um es zu stoppen."

Unterstützt wird sie vom griechischen Walforscher Dr. Alexandros Frantzis. Er konnte nachweisen, dass kurz vor der Strandung von 12 Cuvier-Schnabelwalen im März 1996 am West-Peloponnes militärische Aktivitäten mit mittelfrequenten Tönen stattfanden.

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